Lieber Thomas W.,
der nachfolgende Text, gehört eigentlich nicht hier hin, FK hat es treffend beschrieben, dient aber zur Aufklärung meiner Meinung nach falscher Meinungsbilder (Zitat: "Unter den anderen gibt es auch 2, denen das Mahnmal schlicht peinlich ist. Konkret besonders deshalb, weil andere Opfergruppen (Sinti und Roma, Kommunisten...) bewusst ausgeschossen wurden.") .
Die vereinfachte und subjektive Äusserung zum Staat Israel zieht mir die Schuhe aus. Äussern möchte ich mich nicht dazu.
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Franziska Becker, Malaika Disch, Wiebke Rosin
- Vor dem Fall der Mauer
- Der Wettbewerb 1994/95
- Der zweite Wettbewerb 1997/98
- Persönliche Bewertung
- Literatur
Vorgeschichte und politische Willensbildung
Vor dem Fall der Mauer
Ende der 70er Jahre setzte in West-Berlin der Prozeß der Auseinandersetzungen mit der verdrängten Geschichte des Nationalsozialismus ein. Man entdeckte die historischen Orte der nationalsozialistischen Machtausübung wieder, und wurde sich bewußt, dass Berlin als ehemaliges politisches und administratives Zentrum eine besondere Verantwortung trägt, sich mit den Vorgängen und Konsequenzen und den daraus gewonnenen Erkenntnissen auseinanderzusetzen.
Anfang der 80er Jahre lenkte die Herrichtung des Martin-Gropius-Baus die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das benachbarte brachliegende ›Prinz-Albrecht-Gelände‹, auf dem sich während des Dritten Reichs der Sitz der Gestapo-Zentrale, der SS-Führung und des Reichssicherheitshauptamts befand. Fünfzig Jahre nach der Machtübernahme durch die Nazis, führte der Berliner Senat einen Wettbewerb zur Gestaltung des Geländes durch, der jedoch ohne ein unmittelbares Ergebnis blieb. Nach jahrelangen Debatten um die Nutzung des historisch bedeutsamen, jedoch unkenntlichen ›Orts der Täter‹ entstand 1987 anläßlich der 750-Jahr-Feier Berlins die provisorische Ausstellung ›Topographie des Terrors‹ (Beitrag von Jan Sledz). Die Ausstellung war so erfolgreich, dass man sich zu einer dauerhaften Gestaltung des Geländes entschied. Im darauf folgenden Jahr, während einer Podiumsdiskussion zur weiteren Gestaltung des Prinz-Albrecht-Geländes, forderte die Publizistin Lea Rosh, auf dem Grundstück ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas zu errichten. Die Idee für ein Denkmal entstand während der Zusammenarbeit an einer Fernsehdokumentation über den Holocaust, von Lea Rosh mit dem Professor für Neuere Geschichte, Eberhard Jäckel. Nach dem Besuch der israelischen Gedenkstätte ›Yad Vashem‹ war man sich einig, dass es im Land der Täter ein ähnliches Denkmal geben müsse wie im Land der Opfer. Die Forderung stieß jedoch wegen der Beschränkung auf eine Opfergruppe auf eine geteilte Resonanz.
Vorausgegangen war im Sommer 1988, die Gründung des Vereins ›Perspektive Berlin e.V.‹, einer Bürgerinitiative mit ca. 100 Mitgliedern, unter ihnen Lea Rosh, ihr Ehemann Jakob Schulze-Rohr und Eberhard Jäckel. Nach der Podiumsdiskussion wurde die Errichtung eines Denkmals zur zentralen Aufgabe der Initiative. Im Jahr 1989 startete der Verein zwei Aufrufe (siehe Abb. 1-2) in überregionalen Zeitungen zur Errichtung eines Holocaust-Denkmals an den Berliner Senat, die Regierungen der Bundesländer und die Bundesregierung. Aus der Politik kam zwar keine Reaktion, doch das öffentliche Interesse war geweckt. Im Juni 1989 lud die Fachkommission zur Bearbeitung von Vorschlägen für die künftige Nutzung des Prinz-Albrecht-Geländes 15 Gruppen, u.a. die Perspektive Berlin zu einer nichtöffentlichen Anhörung ein. Diese verzichtete jedoch auf eine Teilnahme, da sie der Ansicht war, die Kommission mache gemeinsame Sache mit einer anderen Gruppe. Im März 1990 entschied die Kommission, dass die provisorische Ausstellung ›Topographie des Terrors‹ erhalten bleiben und ergänzt werden sollte, da die Einmaligkeit des Geländes darin besteht, dass es sich um einen Ort der Täter handelt. Mit dieser endgültigen Entscheidung musste ein neuer Standort für das Denkmal gesucht werden.
Seit der ersten Forderung nach einem Denkmal für die ermordeten Juden Europas hatte es Kritik und Auseinandersetzungen anderer Gruppen mit der Perspektive Berlin gegeben. Der Verein ›Aktives Museum‹ warf der Initiative vor, die jahrelange Auseinandersetzung um die zukünftige Nutzung des Prinz-Albrecht-Geländes unberücksichtigt gelassen zu haben. Die Perspektive wolle ein Denkmal, und suche lediglich ein passendes Grundstück für seine Zwecke. Woraufhin Lea Rosh konterte und kritisierte, dass »das Nachdenken über die Gestaltung des Gestapo-Geländes seit mehr als sechs Jahren zu keinem anderen Ergebnis geführt hat, als weiterhin nachzudenken.« Während dieser Streit mit der Entscheidung der Fachkommission beigelegt wurde, sollten die Diskussionen mit anderen Opfergruppen noch über Jahre andauern. Besonders erbittert kämpfte der Zentralrat der Sinti und Roma (siehe Abb. 3) um eine Berücksichtigung und Beteiligung am zentralen Holocaust-Mahnmal.
Kurz vor dem Fall der Mauer gründete sich der ›Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas‹ als Untergruppe aus der Perspektive Berlin. Das Kuratorium bestand aus Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und Industrie wie z.B. Edzard Reuter (Daimler-Benz AG) und Siegfried Lenz (Schriftsteller), den Vorsitz führte die Journalistin Lea Rosh. Zur Aufgabe gemacht hatte sich der Förderkreis zum einen die Einsicht der Öffentlichkeit in die Notwendigkeit eines Denkmals, und zum anderen, den Senat von Berlin zur Realisierung des Projektes zu bewegen.
Neuer Standort
Mit der Maueröffnung 1989 boten sich plötzlich neue Möglichkeiten für einen Standort des Denkmals. Der Förderkreis entschied sich für die ehemaligen Ministergärten, einem Gelände zwischen Brandenburger Tor und ehemaliger Reichskanzlei, nahe dem einstigen Führerbunker. Hinsichtlich des neuen Standortes erwartete man am wenigsten Widerstand und Kritik. Die Vorsitzende des Förderkreises Lea Rosh äußerte sich bezüglich des Geländes: »Auf den Trümmern dieses Zentrums der Nazi-Macht ein Denkmal für die ermordeten Juden zu setzen, heißt, die Ermordeten über ihre Mörder, die Opfer über die Täter zu erheben.«(1)
Pfingsten 1990 informierte der Förderkreis die Öffentlichkeit mit einem Aufruf über den neuen Standort. Seitens des Bundespräsidenten, des Kanzlers und des Berliner Senats gab es positive Äußerungen und die prinzipielle Zustimmung, doch der Förderkreis schien nicht in der Lage zu sein, in irgendeiner Form konkrete Schritte der Politiker zu erzwingen. Grund dafür waren die blockierenden Maßnahmen von Sinti und Roma, die allgemeine Vorsicht des Staates im Minenfeld deutscher NS-Vergangenheit und die noch zu klärende Hauptstadtfrage.
Im April 1991 beauftragte der Förderkreis den Schweizer Ausstellungsmacher und Kunstexperten Harald Szeeman, ein Konzept und einen Vorentwurf für das Gelände der Ministergärten zu erstellen. Der Entwurf sollte den Vorstellungen des Auftraggebers konkrete Form verleihen und später Ausgangspunkt für den Wettbewerb sein. Szeeman konzipierte einen neuen Denkmaltypus, das ›integrierte, synthetische Denkmal‹, mit einer Ereignisstruktur, die Anklage-, Erinnerungs- und Besinnungspotential zusammenfaßt. Für die oberirdische Nutzung des Grundstücks stellte er sich das leere Gelände als eine offene Wunde deutscher Geschichte vor. Im Zentrum sollte eine innerlich geladene, die Erde verletzende und gleichzeitig wie Erinnerung in sie einsinkende Skulptur eines heutigen Künstler, wie z.B. Richard Serra stehen. Unterirdisch plante er eine Anlage mit dem Davidstern als zentralem Grundrißmotiv (siehe Abb. 4), die aus verschiedenen Räumen u.a. dem Raum der Täter, dem Raum der Opfer und dem Raum der Einzelschicksale bestehen sollte. Im Zentrum sollte ein Bereich der Sprachlosigkeit entstehen, der auch Raum für künstlerisch gestaltete Präsentationen wie beispielsweise von Christian Boltanski (siehe »The Missing Hosuse« von Christian Boltanski) bieten sollte.
Ein Denkmal für wen?
Seit 1989 war es immer wieder zu Streit zwischen den verschiedenen Opfergruppen gekommen. Der Vorsitzende des Zentralrates der Sinti und Roma, Romani Rose, warf dem Förderkreis die Ausgrenzung und Unterteilung in Opfer erster und zweiter Klasse vor. Der Förderkreis bzw. der Zentralrat der Juden konterte, dass die Einzigartigkeit des Holocaust durch die Nennung anderer Opfer verallgemeinert und am Ende den Rassenmord der Nazis relativieren würde. Außerdem begründe sich der Standort eines Denkmals aus historisch wichtigen Orten. Im Fall der Opfer der Sinti und Roma wären somit die Deportationsstellen in Berlin-Marzahn oder in Stuttgart eher für ein Denkmal geeignet. Die Juden wurden im Gegensatz zu anderen Opfergruppen in allen Ländern verfolgt, und bräuchten deshalb ein eigenes und zentrales Mahnmal. Die Sinti und Roma wiederum lehnten ihrerseits ein gemeinsames Denkmal mit den Homosexuellen und Kommunisten ab, denn die waren nur Opfer, keine Holocaust-Opfer. Im Jahr 1991 artete der Streit schließlich in eine Art Glaubenskrieg aus. Die Beteiligten beschimpften sich gegenseitig unter Berufung auf Naziquellen, ob z.B. Viertel-Juden eher deportiert wurden als Achtel-Zigeuner. Selbst als abzusehen war, dass das Denkmal den ermordeten Juden gewidmet werden sollte, versuchte Romani Rose via ›Huckepackverfahren‹ auf das Denkmalprojekt aufzuspringen. Immer wieder stellte er öffentlich die Behauptung auf, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden sei mit einem gemeinsamen Denkmal einverstanden. Eine Beteiligung am Denkmal hätte für die Sinti und Roma die große politische Bedeutung gehabt, eine öffentliche Bestätigung zu bekommen, Opfer des Holocaust gewesen zu sein. Noch immer gibt es eine Feindseligkeit gegenüber ›Zigeunern‹. Und es besteht die Gefahr, dass nur das zentrale Mahnmal von künftigen Staatsoberhäuptern besucht und das andere an der Peripherie vergessen wird. Doch die Entscheidung zugunsten eines ausschließlich jüdischen Denkmals wurde immer wahrscheinlicher, zum einen durch die Unterstützung der Großindustrie, die ihr in der Geschichte begründetes schlechtes Firmengewissen beruhigen wollte, zum anderen durch die Befürwortung von Kanzler Helmut Kohl.
Politische Unterstützung
Im April 1992 folgte die endgültige Zustimmung zum Bau eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas seitens des Senats und des Bundesinnenministeriums. Die Gedenkstätten für die anderen Opfergruppen sollten an anderer Stelle entstehen. Die Gesamtkosten für das Denkmal wurden auf 10 Millionen DM geschätzt, die zu einer Hälfte von Bund und Ländern und zur anderen vom Förderkreis getragen werden sollte. Für den Wettbewerb einigte man sich auf folgende Bedingungen: die Einladung von fünf bis sechs international ausgewiesenen Künstlern, die von einer Findungskommission benannt werden sollten; das Konzept von Szeeman als Grundlage des Wettbewerbs und eine Jury bestehend aus sieben Personen, die die Entwürfe bewerten und die Beiträge auswählen sollte. Bis zum Juli 1992 sollte die Findungskommission die Künstler benannt und bis November 1992 die Jury eine Entscheidung getroffen haben. Als Abschluß des Wettbewerbs wurde der April 1993 festgelegt. Ab Oktober 1992 begann der Förderkreis mit der Erarbeitung der konkreten Ausschreibungsunterlagen des Wettbewerbs im Einvernehmen mit dem Bausenat.
Die beiden Wettbewerbe 1994/95 und 1997/98
Der Wettbewerb 1994/95
Im April wurde der erste Wettbewerb als anonymer bundesoffener künstlerischer Wettbewerb ausgeschrieben. Zugelassen waren Künstler und Künstlerinnen, die seit mindestens sechs Monaten in der Bundesrepublik Deutschland wohnten und/oder arbeiteten. Zugeladen wurden 12 internationale Künstler, die von vornherein ein Bearbeitungshonorar von 50.000DM bekamen.
Die Auslober waren die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium des Inneren, der ›Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas e.V.‹, das Land Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen in Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz.
Die Aufgabe selbst wurde nur kurz in der Ausschreibung umschrieben:
»Heutige künstlerische Kraft soll die Hinwendung in Trauer, Erschütterung und Achtung symbiotisch verbinden mit der Besinnung in Scham und Schuld. Erkenntnis soll erwachsen können, auch für künftiges Leben in Frieden, Freiheit, Gleichheit und Toleranz....
Das Thema und das Ziel dieses Wettbewerbs sind damit beschrieben. Die künstlerische Aufgabenstellung bleibt offen, dabei ist die Möglichkeit der Verbindung von Skulptur mit gebautem Raum gegeben. Die Kunst soll ihre Form der Auseinandersetzung selbst bestimmen.
Es wird nicht der Versuch unternommen, das Resultat vorab zu definieren. Den Auslobern ist bewusst, dass die Offenheit schwierig und keine Garantie für ein gutes Ergebnis ist. Sie wird aber als für Notwendig erachtet, um die Chance zu bewahren, Substanzielles, Eigenständiges und Nachhaltiges zu erreichen.«(2)
Insgesamt wurden die Unterlagen ca. 2600 mal, davon 948 Mal inklusive der Plansätze, angefordert. Nach der 6-monatigen Bearbeitungszeit waren 528 Entwürfe eingereicht worden.
Laut James E. Young entsprangen die Entwürfe der gesamten Palette geschmacklichen und ästhetischen Empfindens, vom Schönen zum Grotesken, von der Hochmoderne zum niederen Kitsch, von der Architektur zur Konzeptkunst.(3)
Nach ausgiebigen Vorprüfungen und einer fünfteiligen Prüfungssitzung von einer 15-köpfigen, zu je einem Drittel von den Auslobern benannten Jury kam es zu folgender Empfehlung des Preisgerichtes:
»Nach eingehender Diskussion wird beschlossen (11:4:0), die beiden Arbeiten mit den Tarnnummern 1150 und 1515 mit folgender Empfehlung auf den ersten Rang zu setzten.
Die beiden Arbeiten stellen trotz ihrer Gegensätzlichkeiten eindrucksvolle Lösungen, besonders für den Umgang mit dem angegebenen Thema, dar. Die Jury empfiehlt den Auslobern, die beiden mit dem 1.Preis ausgezeichneten Arbeiten hinsichtlich ihrer finanziellen und technischen Machbarkeit überprüfen zu lassen. Mit den Verfassern gemein-sam ist zu klären, ob nicht eine Kostenminimierung herbeizuführen ist, ohne dabei das künstlerische Erscheinungsbild des vorgestellten Konzepts zu verändern. Die Jury überläßt es den drei Auslobern, nach dem Abschluss der Überprüfung der Entwürfe, sich für den nach ihrer Meinung nach besten zu entscheiden.«(4)
Nach dem Öffnen der Umschläge wurden die Namen bekanntgegeben: Der erste Preis ging zum einen an die Künstler- und Architektengruppe Christine Jackob-Marks, Hella Rolfes, Hans Scheib, Reinhard Stangl, Felix Theissen Berlin. Diese Arbeit umfaßte eine trapezförmige, schräge, 7m dicke Grabplatte aus Beton mit 100m2 Grundfläche, auf der 4,2 Millionen Namen von ermordeten Juden eingraviert werden sollten. Aus Kostengründen sollten anfänglich erst 100.000 Namen eingraviert, und als ›work in progress‹, mit Hilfe von Spendengeldern der Besucher später vollendet werden. Des weiteren sollten 18 gebrochene Steine aus dem Nationalpark Massada auf der Tafel angebracht werden, die die europäischen Länder symbolisieren in denen Deportation und Mord erfolgten (5) (siehe Abb. 5).
Der zweite erste Preis ging an die Künstler- und Architektengruppe Simon Ungers, Christiana Moss, Christina Alt, Köln. Diese Arbeit bestand aus einer 85 x 85 m großen Stahlskulptur aus ca. 6 m hohen Doppel-T-Trägern, die ein Quadrat bilden sollten. Im Inneren war ein nach allen Seiten offener Platz vorgesehen. In die Stahlträger sollten Namen verschiedener Konzentrations- und Vernichtungslager perforiert werden (6) (siehe Abb. 6).
Nach der Bekanntgabe einigten sich die Auslober, auf die Durchführung einer Machbarkeitsstudie und zwei Monate darauf im Juni 1995, kam man überein, dass der Entwurf der Künstlergruppe um Christine Jackob-Marks in leicht modifizierter Form verwirklicht werden sollte. Wie geplant gab es von April 1994 - Mai 1995 eine Ausstellung aller Wettbewerbsbeiträge im Staatsratsgebäude in Berlin.
Bereits kurz nach der Bekanntgabe wurden die ersten Stimmen gegen den ›Grabplattenentwurf‹ laut. Die Süddeutsche Zeitung sprach von einem »fröhlichen Ablaßhandel ohne Ende, bei dem Fr. Mustermann aus Bielefeld für eine noch unbestimmte Summe die Patenschaft für einen toten Juden übernehmen darf.« Der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, erachtete es ebenfalls für geschmacklos, die Finanzierung über den Kauf von Namen der Ermordeten erfolgen zu lassen. Auch der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl mischte sich in die Diskussion ein und entzog dem Entwurf von Jackob-Marks die Regierungsunterstützung. Er kritisierte, dass sich die monumentale Grabplatte nur schwer in die städtebauliche Komponente südlich des Brandenburger Tors einbeziehen ließe. Außerdem hätte die Entscheidungsfindung transparenter sein müssen, um einen breiten Konsens aller Beteiligten, z.B. auch der jüdischen Gemeinde, zu erreichen. Die Entscheidung wurde dann auf einen Zeitpunkt nach den Berliner Landtagswahlen, die im Oktober 1995 stattfanden, auf das nächste Jahr verlegt.
In der Folgezeit wurden immer mehr Stimmen für einen neuen Wettbewerb, als auch für einen neuen Standort laut. Weiter wurde die Beteiligung des Bundestags gefordert.
Zu diesem Zeitpunkt war die Grundsteinlegung bereits von 1996 auf den 27. Januar 1999 verschoben worden.
Im ersten Viertel des Jahres 1997 fand ein dreiteiliges Kolloquium mit 90 Experten statt. Das Ergebnis war, dass man eine Findungskommission einberufen wollte, die Künstler und Architekten aus dem Kreis der neun Preisträger und der übrigen Teilnehmer des ersten Wettbewerbs, sowie bisher nicht Beteiligter um Vorschläge für neue Denkmalentwürfe bitten sollte.
Senator Peter Radunski sagt in seinem Schlusswort:
»Wichtige Argumente sind formuliert worden, die zu einer Prüfung und zu einem Überdenken der Vorgaben anregten, um den weiteren Prozess kreativer gestalten zu können. Auch seien neue Vorgaben und neue Ideen entstanden, die eine neue Basis bzw. ein neues Briefing geschaffen hätten. Der bisherige Standort und die Alternativvorschläge würden, ausgehend von der Debatte und dem vorgelegten Gutachten, weiter geprüft. Das Kolloquium habe gezeigt, dass neue künstlerische Entwürfe in die Überlegungen einzubeziehen seien. Dies werde als Chance gesehen und genutzt. Ein neuer Wettbewerb werde nicht angestrebt, auch um Verzögerungen zu vermeiden. ... Das Kolloquium hätte hohe Öffentlichkeit erhalten. Mit der Diskussion um das Denkmal hat dies bereits zu leben begonnen.«(7)
So wurde der Weg zum zweiten Wettbewerb, allgemein auch ›engeres Auswahlverfahren‹ genannt, geebnet.
Der zweite Wettbewerb 1997/98
Der zweite Wettbewerb fand unter folgenden Bedingungen statt: Im Unterschied zur ersten Ausschreibung sollten die Entwürfe nicht mehr anonym eingereicht werden. Insgesamt wurden 25 KünstlerInnen geladen, die sich aus den neun Erstplatzierten des ersten Wettbewerbes, sowie aus 16 internationalen Künstlern, die teilweise schon am ersten Wettbewerb teilgenommen hatten, zusammensetzen. Ausgewählt wurden die Künstler von einer, von den Auftraggebern berufenen, fünfköpfigen Findungskommission.
Jedem Teilnehmer wurden pauschal 10.000 DM gezahlt und die Bearbeitungszeit des Wettbewerbs war auf dreieinhalb Monate reduziert. Die Wettbewerbsunterlagen unterschieden sich hinsichtlich Standort- und Aufgabenbeschreibung stark vom vorhergehenden Wettbewerb. Ein Auszug: »Ein angemessener Denkmalentwurf wird die zurückgebliebene Leere berücksichtigen und sich nicht nur auf das Gedenken an Terror und Zerstörung beschränken. An das was verloren ging, muss ebenso erinnert werden wie daran, wie es verloren ging. (...) Es ist wichtig, das Denkmal nicht mit zu vielen Aufgaben zu belasten, die einen überzeugende Entwurfslösung eher behindern würden. (...)«(8)
Nach Ablauf der Frist lagen 19 Arbeiten vor. Die Findungskommission tagte am 31.10.1997 und einigte sich darauf, die Arbeiten von Peter Eisenman in Zusammenarbeit mit Richard Serra, die Arbeit der Künstlerin Gesine Weinmiller, sowie von Rebecca Horn, von Dani Karavan, von Daniel Libeskind, und von Markus Lüpertz der Jury zu empfehlen.
Am 1. November wurden die ausgewählten Arbeiten dem Beurteilungsgremium, dass sich aus Ignatz Bubis, den Vertretern der Auslober und der Findungskommission zusammensetzte, vorgestellt. Während dieser Sitzung wurde seitens des Förderkreises zusätzlich das Projekt von Jochen Gerz, und auf Wunsch des Landes Berlin die Arbeit von Zvi Hecker zur engeren Wahl hinzugefügt. Diese acht ausgewählten Arbeiten wurden am 14.11.1997 persönlich von den Künstlern vorgestellt.
Einen Tag später wurde die Arbeit von Gesine Weinmiller sowie das Gemeinschaftsprojekt Eisenman/Serra von der Kommission zur Realisierung vorgeschlagen. Der Entwurf von Gesine Weinmiller sieht eine schräg abfallende Platte vor, auf der 18 Steinblöcke, jeder aus einer anderen Region Europas, scheinbar zufällig verteilt liegen. Diese wiederum bilden, von einem bestimmten Punkt aus betrachtet, durch die perspektivische Verzerrung einen abstrahierten Davidstern. Der Boden der gesamten geneigten Fläche, mit hellem Kies belegt, läßt die Schritte der Besucher hör- und sichtbar werden.(siehe Abb. 7)
Der Entwurf Eisenman/Serra geht von einer Rasterstruktur von ca. 4000, leicht geneigten Betonpfeilern aus. Jeder Pfeiler mißt 0,92m in der Breite und 2,30m in der Länge, während die Höhe bis zur maximalen Dimension von 7,50m variiert. In einem Abstand von 0,92m voneinander entfernt, lassen die Pfeiler lediglich eine individuelle Durchquerung zu. (siehe Abb. 8).
Die Auslober beschlossen zudem die Arbeiten von Daniel Libeskind und Jochen Gerz in die engere Wahl zu nehmen. Ähnlich wie beim ersten Wettbewerb konnte sich die Jury nicht, wie eigentlich von der Öffentlichkeit erwartet, für einen Siegerentwurf entscheiden und verschob den endgültigen Beschluß auf einen späteren Zeitpunkt.
Die Entscheidung und Realisierung des Entwurfs von Peter Eisenmann
Die Entscheidung für Eisenman
Im Januar 1998 wurden die vier ausgewählten Entwürfe in einer Ausstellung präsentiert.
Der Bundeskanzler Helmut Kohl erklärte nach einem Besuch den Serra/Eisenman-Entwurf zu seinem Favoriten. Das von Kohl bekundete Interesse, unterstützt durch Eintragungen ins Gästebuch, kam einer Vorentscheidung gleich. Darauf ließ der Kultursenator die Öffentlichkeit wissen, dass Serra/Eisenman ihren Entwurf auf Wunsch der Auslober in verkehrstechnischer und organisatorischer Hinsicht noch einmal überarbeiten sollten.
Am 22.05.1998 fand ein Gespräch mit Helmut Kohl, Richard Serra und Peter Eisenman im Kanzleramt statt. Gesprächsinhalt waren der Denkmalentwurf und dessen Überarbeitung. Ungefähr einen Monat später wird bekannt, dass sich Richard Serra vom Wettbewerb um das Berliner Holocaust-Mahnmal zurückgezogen habe und zwar aus »persönlichen und professionellen Gründen«(9), wobei betont wurde, dass die Grundidee des Entwurfs ohnehin von Eisenman stamme, der allein im Wettbewerb bleibt. Auf Grund fehlender konkreter Aussagen Richard Serras, gab es viele Mutmaßungen darüber, was denn die persönlichen und professionellen Gründe seien: Lea Rosh weist darauf hin, »dass der Architekt Eisenman von berufswegen eher im Sinne seines Auftraggebers zu weiterführenden Variationen seines Entwurfes bereit sein muß, als der Bildhauer Serra, der die beste seiner Entwurfsideen präsentiert hat und bewahren will«(10) Als weiterer Rücktrittsgrund wird vermutet, dass Serra sich von der Debatte angegriffen gefühlt habe. Bei der Vorstellung der Projekte »standen der Schutz vor Graffitti, die Sicherheit für Frauen, oder die Unfallvorsorge (…) im Mittelpunkt des Interesses«(11).Auf der Diskussion habe man dem Künstler vorgeworfen, Frauen könnten zwischen den Stelen vergewaltigt werden und Leute könnten an einem Herzinfarkt verenden, da sie nicht gefunden werden.
In seinem ausformulierten Konzept erklärt Eisenman die Intention des Entwurfs:
»In unserem Monument/Denkmal gibt es kein Ziel, kein Ende, keinen Weg sich hinein- oder hinauszubahnen. Die Zeit der Erfahrung durch das Individuum, den Besucher, gewährt kein völliges Verstehen – denn ein allumfassendes Verstehen ist nicht möglich. (…) es (gibt) keine Nostalgie, keine Erinnerung, kein Gedenken der Vergangenheit, es gibt lediglich eine lebendige Erinnerung, nämlich die der individuellen Erfahrung – des Erlebens des Denkmals/Monuments. Denn heutzutage können wir die Vergangenheit nur durch eine Manifestation in der Gegenwart kennen und verstehen.«(12)
Der Anspruch der individuellen, lebendigen Erfahrung ist ein Kernpunkt des Konzeptes von Eisenman. Innerhalb des Mahnmals soll es keinen Platz für zusammengehörige Gruppen geben. Jeder Besucher muss seine Erfahrungen alleine für sich sammeln. Interessant ist, dass in dem Entwurf von Eisenman – der keine Symbolsprache wie in der ›Neuen Wache‹ (siehe Umwidmung der Neuen Wache) entwickeln möchte – durchaus Symbole entdeckt werden. Der Entwurf stellt sich dar als ein ›Feld ohne Eigenschaften‹. Aber gerade diese Offenheit scheint eine Vielzahl von Symbolen zu provozieren, durch die man das Stelenfeld deuten kann. Sind die hohen Stelen Grabsteine, und die niedrigen Stelen in der liegenden Proportion Gräber? Was ist mit der Metapher des Feldes, mit der Assoziationen vom Korn- zum Schlachtfeld möglich werden?
Der Kompromiss Eisenman II
Mitte Juni 1998 legte Eisenman den überarbeiteten Entwurf vor. Die eingreifendste Verän-derung ist die Reduzierung der Dimensionen. (siehe Abb. 9) Die Anzahl der Betonpfeiler wurde von 4.000 auf 2.700 Pfeiler reduziert, deren maximale Höhe zudem von ehemals sieben auf vier Meter reduziert. Das Denkmal, welches im ersten Entwurf die Fläche randlos ausfüllte und damit bewusst den Rahmen sprengte, soll in Beziehung zur Straße stehen und von Bäumen umkränzt werden. Interessant ist, dass Eisenman alle Änderungen, die an ihn herangetragen werden, für sich positiv umbesetzt, also als Verbesserung des Konzeptes ausgibt. So sagt er aus, dass die räumliche Wirkung des Projektes noch gestärkt wird, indem es in den städtischen Kontext der Berliner Straßen- und Fußwege eingefügt wird.
Die endgültige Form des Denkmals ist wie folgt festgelegt: Die 2.700 Stelen werden in einem Raster auf einem sanft aber unregelmäßig abgesenktem Gelände von ca. 19.000 Quadratmeter angeordnet. Sie sind 0,96 m tief, 2,38 m breit und unterscheiden sich in der Höhe voneinander. Die Absenkung, sowie die geneigten Winkel sollen beim Durchschreiten ein Gefühl der Verunsicherung erzeugen. Das Stelenfeld hat keinen Ein- und Ausgang, es ist von allen Seiten begehbar.
Durch die Änderungen des Entwurfes, vor allem durch die Reduktion der Dimensionen und die sanfte Einbettung ins Stadtraster, hat das Stelenfeld, so wie es von Eisenman und Serra geplant war, stark an Radikalität verloren. Ein häufig genannter Kritikpunkt ist die zu liebliche Form einer wellenförmigen Bewegung, die sich beim Betrachten des Stelenfelds aus der Ferne ergibt (siehe Abb. 10/11) Da die »Unübersehbarkeit des Denkmals als Stein des Anstoßes zur alltäglichen Erinnerung«(13) oberstes Ziel war, favorisiert der Förderkreis ›Eisenman I‹ mit folgender Begründung »Die Ermordung und Zerstörung des europäischen Judentums sprengt jeden bekannten historischen Rahmen. Der Entwurf ›Eisenman I‹ sah vor, das Grundstück von einem Ende zum anderen mit Pfeilern anzufüllen; die Überdimension der Pfeilerhöhe symbolisiert das Ungeheuerliche dieser Vernichtung. Fußgänger sind gezwungen auf die gegenüberliegende Straßenseite auszuweichen, wenn sie am Denkmal vorbeigehen wollen, denn der ›Rahmen‹ ist überschritten.«(14)
Darüber hinaus spielen in der Diskussion Fragen der Sicherheit eine große Rolle: das Stelenfeld stellt eine unübersichtliche Innenstadtzone dar, die zur Gefahrenzone werden kann.
Fortsetzung der politischen Debatte
Im Sommer 1998 kann noch keine Entscheidung gefällt werden, da sich der regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen gegen ein Denkmal und vor allem gegen den Standort Berlin ausspricht. Um zu vermeiden, dass das Denkmal zum Wahlkampfthema wird, einigen sich Herr Kohl und Herr Diepgen auf eine Entscheidungsverschiebung nach dem Datum der Bundestagswahl. Mit dem Regierungswechsel nach der Bundestagswahl vom 27. September 1998 beginnt auch eine neue Phase in der Denkmaldebatte. Im Oktober wird die Debatte noch einmal erweitert: der Schriftsteller Martin Walser hält eine Sonntagsrede als Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1998 in der Frankfurter Paulskirche. In seiner Rede kritisiert Walser die »Instrumentalisierung«(15) von Auschwitz und behauptet, die permanente Thematisierung des Holocaust erziele letztlich den Effekt des Wegschauens. Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, kontert heftigst; er setzt Walser mit DVU-Politikern gleich und bezeichnet ihn des Friedenspreises unwürdig.
Am 10. November 1998 legt Bundeskanzler Schröder in der Regierungserklärung fest, dass über das Denkmal nicht per Exekutivbeschluss entschieden werde, sondern unter Berücksichtigung der breiten öffentlichen Debatte. Der Staatsminister für Kultur und Medien Michael Naumann schlägt vor eine Dependance der ›Shoah Foundation‹ anstelle eines Mahnmals zu errichten. Dieser Vorschlag wird von vielen Seiten begrüßt, von Seiten des Förderkreises jedoch nur als ergänzendes Element, welches das Denkmal auf keinen Fall ersetzen darf. Ab Januar wird die Entscheidung des Bundestages vorbereitet. Beauftragte des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien entwickeln in enger Zusammenarbeit mit Peter Eisenman einen modifizierten Entwurf, der auch edukative Elemente wie ein Museum, eine Forschungsstätte und eine Bibliothek enthält. Noch im Januar platzt ein Treffen, auf dem die vier Künstler ihre Entwürfe vorstellen und über Alternativen informieren sollen, da Jochen Gerz und Daniel Liebeskind abgesagt haben. Jochen Gerz begründet sein Fernbleiben darin, dass die Entscheidung schon feststehen würde und der modifizierte Eisenmanentwurf ein Plagiat darstelle, welche sich seines Entwurfes bedient habe. Der Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung wird laut. Bis dato sind noch keine Preise verliehen worden, und es scheint keine feststehenden Prämissen mehr zugeben. Klarheit besteht nur darin, dass der Bundestag noch vor der Sommerpause 1999 eine Grundsatzentscheidung fällen soll.
Am 25.6.1999 wurde vom Bundestag die Realisierung des modifizierten Eisenman-Entwurfes beschlossen und verkündet(16). Am 27.6.2000 fand der symbolische Baubeginn als festlicher Akt unter der Leitung Wolfgang Thierses statt. Im Juli 2001 entschied sich das Kuratorium der inzwischen gegründeten Stiftung ›Denkmal für die ermordeten Juden Europas‹ unter dem Vorsitz von Wolfgang Thierse für einen unterirdischen Ergänzungsbau nach den Plänen Peter Eisenmans.
Ort der Information
Auf dem Denkmalgelände in Berlin wurde vom 1.-3. November 2001 parallel zum Beginn der Bauvorbereitungen ein Symposium zum Denkmal veranstaltet. Das Anliegen des von der Geschäftsführerin der Stiftung, Sibylle Quack, geleiteten Symposiums war es, die Aufgaben und Problemlösungen des Ortes der Information zu definieren(17).
Die zentrale Funktion des Orts der Information besteht darin, die abstrakte Form der Erinnerung, die das Denkmal vermittelt, zu konkretisieren. Die Ausstellung bemüht sich neben dem Aufzeigen von Daten um die Veranschaulichung exemplarischer Einzelschicksale. Eingebettet in die ›Mahnmallandschaft‹ Berlins soll der Ort der Information nicht in Konkurrenz zu anderen Einrichtungen des Erinnerns stehen, sondern auf sie verweisen.
Der unterirdische Bau, welcher in der Regel nach dem Denkmalbesuch aufgesucht werden soll, ist über zwei Treppenabgänge aus dem Stelenfeld erreichbar. Die Architektur des Ortes nimmt das Raster der Stelen auf. Der Ort ist in vier Bereiche gegliedert. (siehe Abb. 12) Der erste Raum – der Raum der Stille – bietet Gelegenheit zu Besinnung und Trauer. Im Raum der Schicksale werden die im Foyer zu lesenden abstrakten Daten durch historisch dokumentierte Familien-geschichten und Biographien ergänzt. Im Raum der Namen wird die für den Ort der Information zentrale Idee der Namen realisiert. Die israelische Gedenkstätte ›Yad Vashem‹ stellt ihre Namenssammlung zur Verfügung. Diese soll als benutzbare und auch ergänzbare Datenbank wie eine versinnbildlichte Grabinschrift veranschaulicht werden. Mit dem Raum der Orte verwirklicht der Ort der Information seine Portalfunktion, indem auf die authentischen Stätten des Gedenkens hingewiesen wird. Informationen über die Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager sind abrufbar und die Ausdehnung des Mordes in Europa wird einsichtig gemacht.(18)
Das Richtfest des Denkmals, an welchem die Hälfte der Stelen stand und der Rohbau des Ortes der Information fertiggestellt war, wird am 12. Juli 2004 begangen. Die Einweihung ist für den 9.Mai 2005, einen Tag nach dem Tag der Befreiung Deutschlands durch die Aliierten, geplant.
Persönliche Bewertung
Eingezwängt zwischen Plattenbauten, den Ländervertretungen und dem Grundstück der zukünftigen US-Botschaft liegt die Baustelle des halbfertigen Holocaust-Denkmals. (Abb.13 u. 14) Wer ein großzügiges, monumentales und unüberschaubares Denkmal erwartet, wie das Eisenman-Modell vermuten läßt, wird beim bloßen Anblick enttäuscht. Selbst von der Straße aus ist es möglich, das gesamte Areal zu überblicken, das Stelenfeld geht im Berliner Stadtbild unter.
Die Stelen, die auf abgesenktem Untergrund stehen, überragen nicht einmal die sie umgebenden Bäume. Auch aus der Ferne ist das Feld kein ›Stein des Anstoßes‹, sondern ergibt eine wellenförmige Bewegung, die zu sanft, zu lieblich ist. Auch die Oberfläche der Stelen – weich abgeschliffener Beton – ist keineswegs eine raue Erscheinung. (Abb.15) Man hätte gut daran getan den ersten Entwurf Eisenmans beizubehalten.
Der Entwurf von Eisenman und Serra hat durch die vielen Veränderungen stark an Radikalität verloren, da er in deutlich abgeschwächter Form realisiert wird. Das nach einer jahrelangen Debatte aus Kompromissen entstandene Denkmal ist in dieser Weise sicherlich sehr deutsch und sagt so vielleicht mehr über diejenigen aus, die es gebaut haben, als über diejenigen, für die es errichtet wird.
Ähnlich wie die meisten Gegendenkmäler, argumentiert auch der Eisenman-Entwurf mit dem Begriff der ›lebendigen Erinnerung‹ – nur scheint dieser Begriff bei einem derart massiven Betondenkmal wenig nachvollziehbar. Problematisch könnte der überhöhte Anspruch werden, den Eisenman an die Besucher hat: diese sollen allein das Stelenfeld betreten um ein Gefühl der Verunsicherung zu erfahren. Nicht bedacht hat er allerdings, dass es Passanten zu leicht gemacht wird, am Stelenfeld vorbeizugehen. Zudem wird ein Großteil der Besucher in Reisegruppen ankommen und bei einem kurzem ›Stop-over‹ kaum Zeit für ein individuelles Erlebnis haben.
Eisenmans Konzept, welches ja auf individuelle Erfahrung abzielt, ist eher inhaltlicher Natur als von formalen Kriterien bestimmt. Problematisch ist aber, dass das Denkmal schon vor der Fertigstellung vorwiegend formal diskutiert wurde – eine Art der Beurteilung, die durchaus verständlich ist, da die äußere Erscheinung vor dem ›Erlebnis‹ des Durchschreitens immer der erste Eindruck sein wird, den man erhält.
Die abstrakte Form des Feldes, die schon vor der Fertigstellung des Baus für Deutungen jeglicher Art offen ist, läuft die Gefahr, im Lauf der Zeit – wenn wir eine Zeitspanne von hundert Jahren vor uns sehen – umgedeutet zu werden. Wiederum läßt sich nur schwer spekulieren, was in hundert Jahren von einem Denkmal erwartet wird, was dann ein Denkmal von heute leisten kann. Diese Offenheit des Denkmals soll der Ort der Information konkretisieren. Die dort geplante, gut durchdachte Ausstellung kann dieser Aufgabe gerecht werden. Voraussetzung dieser Informationsvertiefung ist allerdings, dass der Ort der Information überhaupt aufgesucht wird – ein Anspruch, den sicherlich nicht jeder Besucher erfüllen wird.
Besucht man vorab das Jüdische Museum, wirft sich automatisch die Frage auf, warum die Entscheidung für den Bau des Holocaust-Denkmals zugunsten des Eisenman-Entwurfs fiel. Wer einmal völlig irritiert durch den ›Garten des Exils‹, zwischen 49 Stelen auf dem schiefen Boden, ohne jedes Gefühl für Gleichgewicht herumgewandert ist, müßte sich fragen, ob Berlin ein ähnliches Stelenfeld nur in größerem Ausmaß braucht.
Die Erklärung Eisenmans, das Denkmal als Erinnerung an einen Friedhof in die Mitte der Stadt, in das Alltagsleben zu holen, entspricht nicht ganz der Wirklichkeit. Das Alltagsleben der Berliner findet nicht unbedingt rund um das Brandenburger Tor statt. Hauptsächlich wird diese Gegend vor allem von Touristen bevölkert. Zu befürchten bleibt außerdem, dass das Holocaust-Denkmal für einen Großteil der Berlin-Besucher nur eine weitere Attraktion neben vielen Anderen darstellt, die schnell mal nebenbei abgehakt wird. Ähnliches beobachtet man immer wieder an anderen Gedenkstätten. Um die Menschen wirklich in ihrem Alltagsleben aufzurütteln, hätte es eher eines Denkmals wie des ›Bus-Stop‹ von Stih und Schnock aus dem ersten Wettbewerb bedurft. Auf dem Weg zum Supermarkt einem Bus mit der Aufschrift ›Auschwitz‹ oder während der Stadtrundfahrt einem Bus mit ›Buchenwald‹ als Endstation zu begegnen, dürfte die Leute eher zum Nachdenken anregen.
Begrüßenswert ist vor allem, dass überhaupt ein Denkmal gebaut wird. Auch wenn es gerade die sehr breite und lange Debatte war, die das Endresultat des Entwurfes geschmälert hat, ist dieser Prozeß der Auseinandersetzung ebenso wichtig, wie der Bau des Denkmals selbst. Und letztendlich wird sich erst mit der für Mai 2005 anvisierten Fertigstellung des Eisenman-Baus, beim Durchschreiten des Stelenfeldes herausstellen, was das Denkmal leisten und in den Köpfen der Besucher auslösen kann.