Welche Farbe für den Außenanstrich
Ok. Ich gebe ja zu hier mit recht grobkörnigem Sandpapier unterwegs gewesen zu sein.
Gleichwohl fällt mir jedoch auf, dass hier bei jeder sich bietenden Gelegenheit Kalk-Kasein empfohlen wird. Mich erinnert das ein wenig daran, wie oftmals bei Grippe, Kopfschmerz, Zahnschmerz, Schnupfen, sehr hartem Stuhl und Schlafstörungen die Arznei-Empfehlung „nehm´ se Aspirin!“ ausgesprochen wird.
Nun mag man ja von einem Produkt begeistert sein. Ich finde so eine Grundmotivation auch gut, denn ohne eine derartige Begeisterung haben historische, wie neue Produkte keine Chance sich durchzusetzen. Daher sind engagierte Vertreter für eine Produktvielfalt auch absolut notwendig.
Zur Kalk-Kasein-Farbe speziell:
Die Kalk-Kasein-Farbe darf man mit Fug und Recht als historischen Vorläufer der Binderfarbe sehen, die ihrerseits den Vorläufer der Dispersionsfarben darstellt.
So ist der historische Entwicklungsprozess einzuordnen, was keine Wertung ist!
Viel wichtiger erscheint mir
weshalb es dazu kam, dass Kalk-Kasein-Farbe als
weitere Option so erfolgreich war!
Ich glaube, ich kann es Ihnen sagen:
1.) Kalk-Kasein-Farbe war unproblematisch!
Durch die doppelte Bindung anorganisch durch Kalk und organisch durch Kasein konnte man diesen Anstrich auf nahezu jedem Untergrund einsetzten, der sich bot und der farbig zu fassen war. Gerade in den Zeiten hoher Bautätigkeit z.B. Barock und Gründerzeit, war dieser Anstrich ein Material, was ich als Malermeister jedem Gesellen und Lehrling in die Hand drücken konnte, ohne dass groß etwas schief gehen konnte.
2.) Kalk-Kasein-Farbe stand für Arbeitssicherheit!
Als Meister konnte ich in der Werkstatt den Brandkalk selber unter Aufsicht einsumpfen, ohne dass meine gesamte Mannschaft durch Unachtsamkeiten auf der Baustelle im meiner Abwesenheit in die Luft flog, was so selten nicht war! Schließlich war das Augenlicht durch Spritzer nicht so gefährdet wie beim reinen Sumpfkalk. Somit konnte auch der einfachste Mensch mit diesem Material sicher umgehen.
3.) Kalk-Kasein-Farbe ließ keine/kaum Feuchtigkeit in den Putz!
Das war mit Sicherheit aus damaliger Sicht eines der technisch schlagensten Argumente für Bauherren und Maler!
4.) Kalk-Kasein-Farbe war im Endpreis bei kunsthandwerklichen Applikationen ökonomisch!
Sie war„schlank“ und „schmatzig“ zu verarbeiten, sie ließ sich „gut ziehen“!
Hier kommt nun das Thema „Geheimrezept“ zum tragen. Ich weiß nicht ob der Ursprung in der Zeit der Alchemie zu suchen ist. Jedenfalls war es wichtig für die Maler schnell und sauber Ritzer, Striche, Bänder als Begleiter und Abschlüsse erstellen zu können. Das setzte voraus, dass man nicht alle 10cm den Pinsel neu eintauchen musste. Daher musste sich die Farbe ziehen lassen und endlos aus dem Pinsel laufen.
5.) Mit Kalk-Kasein-Farbe waren hohe Schichtdicken zu erreichen!
Es vermittelte allen Beteiligten ein sicheres Gefühl, wenn letztlich mehr Farbe auf dem Außenputz lag, denn:
6.) Kalk-Kasein-Farbe war resistenter gegen Umwelteinflüsse!
Spätestens mit der Industrialisierung des 19.Jhd. führten die Belastungen aus der Luft (z.B. Schwefelgase) für den rasanten Abbau der reinen Kalkanstriche! Durch die Doppelbindung (siehe 1. ) schließt sich mein Kreis der Erklärungen.
Das war nun die grobe Erklärung für den Erfolg der Kalk-Kasein-Farbe.
Nun gab es aber auch Dinge, die schließlich zu ihrer Verdrängung führten. Ich nehme mal die o.a. Punkte und zeige die Nachteile auf:
zu 1.) Kalk-Kasein-Farbe war unproblematisch?
Es wurde mit Kalk-Kasein-Farbe alles „übergenagelt“ was unter die Deckenbürste kam! Motto: „Das hält! Drauf!!!“
Und wenn es nicht so gut hielt (z.B. Gebälk) dann wurde eben ein ordentlicher Schluck aus der Leinölfirnisflasche dazu gegeben und schon war das Problem gelöst… vorerst…
Der Punkt bei den organischen Zusätzen ist, dass je größer ihre Anteile werden umso „elastischer“ (bitte nicht ganz wörtlich nehmen) wird zwar der Anstrich, aber auch weniger diffusionsfähig! Kalk-Kasein-Farbe neigt aber zur Haarrissbildung. Daher waren dann Schäden auf bestimmten Untergründen (insbesondere wenn die Vorarbeit mies war) vorprogrammiert. Die Themen Pfusch am Bau, Akkordarbeit, Hauruck-Aktionen waren z.B. im Barock keine Seltenheit! Es ließ sich damals für Maler viel Geld verdienen. Wer das so nicht glaubt, erkläre mir mal wo denn die ganzen Fachwerkschlösser des Barock, der kleinen Sonnenkönige hin sind!
Ich kann es sagen: Ganz trivial verfault sind sie.
zu 2.) Kalk-Kasein-Farbe stand für Arbeitssicherheit?
Ja sicher. Es konnte jeder Dummkopf damit umgehen, der unter Umständen gedankenlos alles damit strich.
zu 3.) Kalk-Kasein-Farbe ließ keine/kaum Feuchtigkeit in den Putz?
Richtig. Aber sie ließ diese eben durch die organischen Anteile auch wieder schlechter raus. Ist der Anstrich schadhaft, kommt es dann in kurzer Zeit zu Schäden.
zu 4.) Kalk-Kasein-Farbe war im Endpreis bei kunsthandwerklichen Applikationen ökonomisch?
Ja. Es war die Eier legende Wollmilchsau. Strich man alles mit Kalk-Kasein-Farbe und achtete auf abnehmende Bindung von unten nach oben, dann konnte man sich spezifische Materialeinsätze, die sich auf Baumaterial (Putz/Holz) einließen sparen. Man musste nicht endlos mischen, bis Ölfarbe und Kalkfarbe den gleichen Farbton erhielten. Das war zwar bauphysikalisch nicht so toll aber eben billig!
zu 5.) Mit Kalk-Kasein-Farbe waren hohe Schichtdicken zu erreichen?
Ja, aber mit ihnen sank auch (je nach organischem Zuschlag) der sd-Wert rapide!
zu 6.) Kalk-Kasein-Farbe war resistenter gegen Umwelteinflüsse?
Ja in jedem Fall! Leider aber zum Nachteil der Bauphysik.
Da man nun zum guten Teil für die Bauschäden u.a. an der Haarrissbildung festmachte, war es für die Binderfarbe mit dem neuen Bindemittel Binder ein leichtes in den 20er und 30er Jahren des 20sten Jhd. mit ihrem unglaublichen Bauboom die Kalk-Kasein-Farbe nach und nach zu verdrängen. Die Farbenindustrie entstand im großen Stil und setzte gnadenlos auf „ein Anstrich für alles“ auf Putz Binderfarbe, auf Holz Lack. So wiederholt sich die Geschichte.
Gleiches gilt für die 50er und 60er Jahre mit Wiederaufbau, Technikbegeisterung und niedrigen Baukosten… Die hochelastische Dispersionsfarbe (dicht wie ein Kondom) war die logische Folge…
Erst mit Ende der 70er und frühen 80er, als die Schäden immer größer wurden, begann ein umdenken. Das ist auch gut so!
Wenn das Umdenken allerdings darin mündet, dass die gleichen Fehler wie seit eh und je gemacht werden (ein Produkt für alles), nur dass man jetzt wieder auf den Vorläufer des Vorläufers zurück greift, dann werde ich einigermaßen fassungslos! Zumal wir heute mehr Wandfarben zur Auswahl haben als Kalk, Kalk-Kasein und Leim!
Schau nach dem spezifischen Problem und erarbeite die spezifische Lösung!
Man muss sich als Fachmann hinterfragen, wenn man die Klaviatur der Materialvielfalt für die Problemvielfalt nicht zu nutzen weiß, bzw. gar nicht kennt, ob man dem Portemonnaie der Bauherren noch gerecht wird. Hat man dort Schwächen (das ist erst mal nicht schlimm), findet man Fachleute.
Daher plädiere ich für Vielfalt in handwerklicher Lösung (Fehler die Maurer und Zimmerleute machen, kann der Maler nicht mehr beheben), wie auch in der spezifischen Materialverantwortung!
Abschließend:
Kein Bauingenieur würde auf die Idee kommen und sagen „ich baue grundsätzlich nur mit Kalksandstein!“
Wieso kommt man dann bei Thema Farbe auf diese Idee und dies immer wieder und fortgesetzt??!
Nichts für ungut!
Freundlichen Gruß!
Bitte entschuldigen Sie die Länge dieses Beitrags.