Leichtlehmestrich
Sehr geehrte Frau Stempel,
da Sie mir vorwerfen, mein Gehirn nicht einzuschalten, keine Praxiserfahrung zu haben und ignorant gegenüber neuen Bauweisen zu sein sollten Sie nicht allzuviel von meiner Begründung erwarten.
Soweit vorab.
Zuerst bitte ich Sie, folgenden Fakt in Erwägung zu ziehen:
Warum ist eigentlich noch niemand vor Ihnen auf die glorreiche Idee mit dem Estrich für diese Verwendung gekommen?
Sind die Hersteller und Verarbeiter des Materials alle auch ignorant und denken in alten Schematas?
Dann wären Sie der einzige Genius unter uns.
Das wäre der eine Aspekt.
Es könnte aber auch sein, das die anderen, also die Leute und Firmen, die sich seit vielen Jahren beruflich mit dem Material beschäftigen (man nennt die auch die "überwiegende Mehrheit der anerkannten Fachleute") diesen Einsatzzweck als unrealistisch bzw. unpraktisch verwerfen.
Das will nicht heißen, das es ab und an Menschen gibt, die auf Fußböden laufen, die direkt auf Lehm gelegt sind.
Natürlich kann man alles bauen, was man will.
Ein Beispiel:
Ich könnte Ihnen (um Ihnen mein Interesse an neuen Denkschemata zu beweisen) auch vorschlagen, statt Ihrem Leichtlehm eine Mischung aus 30% Kristallzucker, 20% Puderzucker und 50% Liapor mit etwas Wasser zu verwenden.
Diese Mischung läßt sich leichter einbauen als Lehm, trocknet schneller, ist leichter, wärmedämmender und wird mindestens genauso fest.
Wenn Sie das ablehnen bezichtige ich Sie der Ignoranz.
Was halten Sie davon?
Sicher werden Sie zuerst sagen, der Zucker, also das Bindemittel, ist wasserlöslich.
Na und? Ton und Schluff, die Bindemittel in Ihrem Estrich, sind es auch.
Zucker ist organisch und kann verderben:
Nicht wenn er trocken ist, da ist er praktisch unbegrenzt haltbar. Und Freßfeinde wie Insekten, Nagetiere usw. kommen bei Ihrer exzellenten Verarbeitung ("Natürlich werde ich nicht mit einer Rüttelplatte...")gar nicht ran.
Also, warum statt Lehm keinen Zucker nehmen?
Versuchen Sie mal das zu entkräften.
Spaß beiseite, nun zum technischen Aspekt:
Sie wollen "keinen Stampflehm einbringen sondern normalen Baulehm mit Blähton abgemagert".
Was soll ich dazu schreiben?
Ich vermute Sie wissen weder was Baulehm oder Stampflehm ist, nämlich dasselbe. Auch eine Lehmschüttung (kann sein, das Sie das eigentlich meinen) besteht aus Lehm, wenn man mal von den verschiedenen Zuschlägen absieht.
Da stellt sich auch die Frage, was Sie unter dem Begriff "Estrich" verstehen.
Ich bzw. die meisten Baufachleute verstehen darunter einen verschleißfesten, harten, monolithischen Belag auf einer tragfähigen massiven Unterlage. Der Estrich soll die Unebenheiten der Unterlage, also z.B. des Unterbetons, ausgleichen und eine verschleifeste und tragfähige Unterlage für Bodenbeläge bilden.
Es kommt nicht darauf an wie er heißt, sondern wie er verarbeitet wird und was sein Einsatzzweck ist.
Nun habe ich keine Lust, Ihnen einen seitenlangen Vortrag über die Grundlagen hinsichtlich Eigenschaften und Verarbeitung von bindigen Böden zu schreiben. Schauen Sie einfach mal unter den Schlagworten Proctordichte und -Wassergehalt, Sieblinie, DIN 4022, Plastizitätsdiagramm nach Casagrande, Konsistenzzahl, Plastizitätszahl, Wassergehalt, Schrumpfgrenze, Ausrollgrenze, Bildsamkeitsgrenze, Bindekraft, Lehmbauregeln nach.
Dann werden Sie mitbekommen, das bindige Bodenarten bzw. Baustoffe wie Lehm schwer verdichtbar sind. Um sie als Estrich zu verwenden, müssen Sie mit einer hohen Verdichtung, guter Kornabstufung und niedrigem Wassergehalt eingebaut werden.
Das geht nur wenn:
1. Der Untergrund fest ist, entweder eine mineralische Tragschicht wie z.B. Stampflehm, Kies-, Sandgemische oder Splitt- Schottergemische oder Beton. Sie haben übrigens keinen festen bzw. einen wechselnden Untergrund.
2. Der Lehm in mehreren dünnen Lagen mit idealer Verdichtung und niedrigem Wassergehalt verbaut wird,
3. vor der nächsten Schicht die alte Schicht trocknen kann,
4. eine gerade und ebene Oberfläche erzielt wird.
Zum Material selber:
Es sollte mit einer möglichst ideal abgestuften Körnung verbaut werden. Die Anteile des Korngerüstes sollten aus mindestens zwei Fraktionen Liapor, Sand 0-2, Schluff und Tonmineralien bestehen. Das ist nur durch Verschneiden mit verschiedenen Materialien erzielbar.
Dann sollte der Wassergehalt optimal abgestimmt sein, Zuviel Wasser- der Lehm ist zwar besser verarbeitbar, kann sich aber schon bei der Herstellung entmischen, die Trocknungsphasen verlängern sich. Zu wenig Wasser, der Lehm ist nicht genug verdichtbar.
Selbst wenn Sie alle diese Probleme bewältigen, bleibt noch Ihre mangelnde handwerkliche Erfahrung im Umgang mit dem Material und der gewaltige zeitliche und manuelle Aufwand.
Wofür das alles:
Um Recht haben zu wollen?
Was die Eigenschsaften des Lehmestrichs betrifft:
Wehe wenn er nass wird, Planschwasser, ein Wasserrohrbruch, Kondes-, Kapillar- und hygrische Feuchte aus der Gewölbekappe können den Lehm quellen und weichen lassen.
Bei einem Weiterverkauf der Immobile stellt das einen erheblichen Mangel da, der mit einem saftigen Preisabschlag belohnt wird.
Warum?
Der Boden entspricht vielleicht Ihren, aber nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik und der Baukunst.
Er entspricht auch nicht dem Stand der Technik.
Er entspricht schon gar nicht dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik.
Viele Grüße
p.s.
Jetzt wissen Sie hoffentlich,m warum ich Ihnen eine zementgebundene haufwerksporige Liaporschüttung empfohlen habe. Die ist an einem halben Tag eingebaut und eine Woche später belegreif.