TÜV SÜD plädiert für bessere Qualitätssicherung im Baubereich

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Nach dem tragischen Unglück von Bad Reichenhall
und der Serie von Halleneinstürzen in diesem Winter hat TÜV SÜD
grundlegende Ursachenforschung betrieben. Die systematische
Auswertung von eigenen Gutachten und der einschlägigen Fachliteratur
brachten zum Teil überraschende Ergebnisse: Mehr als die Hälfte der
untersuchten Hallen wies Mängel auf, das Einsturzrisiko war fast über
die gesamte Lebensdauer eines Gebäudes hinweg gleich hoch. Das
zentrale Problem ist nach Ansicht der TÜV SÜD-Experten nicht die
Schneelast, sondern die Qualitätssicherung bei Planung, Bau und
Betrieb.





"Wir können eine zunehmende Häufung von schweren Schäden bei
Hallen und Gebäuden beobachten", sagt Dr. Manfred Bayerlein,
Geschäftsführer der TÜV SÜD Industrie Service GmbH. "Diese
Entwicklung gipfelte - sicher verstärkt durch die extreme Wetterlage - in der Einsturzserie dieses Winters." Das Wetter war aber nach
Ansicht der TÜV SÜD-Experten nur der Auslöser für die Einstürze, die
wirklichen Ursachen reichen wesentlich tiefer und betreffen sowohl
Konstruktionsfehler als auch Mängel bei Material, Ausführung sowie
Wartung und Instandhaltung. Mit der Entwicklung eines TÜV
SÜD-Prüfstandards für die umfassende Bestandsaufnahme und
systematische Auswertung von eigenen Gutachten und mit einer
Literaturrecherche zu Halleneinstürzen betrieben die Experten
grundlegende Ursachenforschung.





Die markante Häufung von Halleneinstürzen schon kurz nach der
Errichtung war eines der auffälligsten Ergebnisse der Recherche. Über
100 Berichte von Einstürzen hatten die Sachverständigen von TÜV SÜD
in der Datenbank des Fraunhofer-Informationszentrums Raum und Bau, in
Fachzeitschriften, Fachbüchern und im Internet gefunden, in 65 Fällen
hatten die Informationen eine genauere Bewertung ermöglicht. "Fast
noch wichtiger ist die Tatsache, dass die Zahl der Einstürze - mit
Ausnahme der Anfangsphase - unabhängig vom Alter der Hallen ist",
erklärt Dr. Bayerlein. Auch wenn eine Halle die erste, kritische
Phase hinter sich habe, biete das noch keine Gewähr für die
zukünftige Standsicherheit.





Als problematisch bewerten die Sachverständigen von TÜV SÜD vor
allem die Tatsache, dass ein hoher Anteil der Einstürze den Berichten
zufolge nicht auf Überlast durch Schnee oder Eis, sondern auf andere
Ursachen zurückzuführen ist. So entfielen beispielsweise bei
Holzhallen immerhin ...



  • 24 Prozent der Einstürze auf Konstruktionsfehler,
  • 29 Prozent auf Mängel beim Material und in der Ausführung sowie
  • 37
    Prozent auf Probleme im Betrieb und in der Instandhaltung.





Von den
letztgenannten betrafen lediglich 16 Prozent die Überlast durch
Schnee oder Eis. "Auch wenn unsere Recherche keinen repräsentativen
Charakter hat, ist eine Tatsache klar hervorgetreten", so Dr. Bayerlein. "Wir haben ein erhebliches Qualitätsproblem, das den
gesamten Prozess - von der Planung über den Bau bis zum Betrieb von
Gebäuden - umfasst."






Aktuelle Datensammlung aus TÜV SÜD-Gutachten





Die Recherche in der Fachliteratur haben die Bautechnik-Experten
von TÜV SÜD durch die systematische Auswertung ihrer eigenen,
aktuellen Hallengutachten deutlich erweitert und vertieft. "Nach den
spektakulären Einstürzen in diesem Winter hat sich die Nachfrage nach
sicherheitstechnischen Untersuchungen von bestehenden Hallen stark
erhöht", berichtet Herbert Gottschalk, Leiter des Geschäftsfelds
Bautechnik der TÜV SÜD Industrie Service GmbH. "Um unseren Kunden
eine verlässliche Bewertung ihrer Hallen geben zu können und um eine
aussagekräftige Auswertung zu ermöglichen, haben wir einen eigenen
Prüfstandard entwickelt, unsere Gutachten neu strukturiert und eine
spezielle Datenbank aufgebaut." Inzwischen haben die
Bausachverständigen weit über 200 Hallen in ganz Deutschland
untersucht und 100 aktuelle Gutachten abschließend bewertet.





"Über 50 Prozent der von uns untersuchten Hallen wiesen relevante
Mängel auf", berichtet Gottschalk. Besonders hoch war der
Mängelanteil ...



  • bei Holzhallen mit 75 Prozent,
  • gefolgt von Stahlhallen mit 55 Prozent und
  • Betonhallen mit 45 Prozent.





Während bei
Stahl- und Betonkonstruktionen in keinem Fall eine akute
Einsturzgefahr drohte, war bei 11 Prozent der Holzkonstruktionen zum
Zeitpunkt der Untersuchung durch TÜV SÜD die Standsicherheit nicht
mehr gewährleistet und die Hallen mussten sofort geschlossen werden.
"Holz ist als Werkstoff auf keinen Fall schlechter als Stahl oder
Beton", warnt der Bauexperte vor einer falschen Deutung dieser
Zahlen. "Aber Holz wird häufig bei kleineren Hallen eingesetzt, die
mit wesentlich geringerem Planungs- und Berechungsaufwand als größere
Projekte umgesetzt werden."





Bei der Auswertung hinsichtlich des Alters zeigten sich - im
Gegensatz zur den Ergebnissen der Literaturrecherche - keine
besonderen Auffälligkeiten. "Wir gehen davon aus, dass Probleme kurz
nach der Errichtung der Hallen noch als 'Garantiefälle' behandelt
werden und deshalb nicht zu einer Beauftragung von TÜV SÜD führen",
erklärt Gottschalk. "Allerdings werden wir die altersabhängige
Verteilung der Baumängel bei der weiteren Auswertung unserer
Gutachten und der Fortführung unserer Statistik sehr genau im Auge
behalten."





Die Gutachten der TÜV SÜD-Sachverständigen beinhalten auch eine
Unterlagenprüfung, die Aussagen über die Statik der untersuchten
Hallen ermöglichen. "Bei sieben Prozent war die Statik nicht korrekt
berechnet", so Gottschalk, "bei weiteren zwölf Prozent stimmte zwar
die Statik, nicht aber die Ausführung." Zudem gibt es noch eine
erhebliche Dunkelziffer, weil in 55 Prozent der untersuchten Fälle
überhaupt keine Informationen vorlagen oder die vorhandenen
Unterlagen nicht für eine aussagekräftige Beurteilung der Statik
ausreichten.






Probleme bei der Qualitätssicherung





Der hohe Mängelanteil bei den untersuchten Hallen hat auch die
erfahrenen Bautechnik-Experten von TÜV SÜD überrascht. "Um die
Probleme bei der Hallen- und Gebäudesicherheit in den Griff zu
bekommen, müssen wir die Prozesse bei Planung, Bau und Betrieb und
ihre Umsetzung grundsätzlich überdenken", erklärt Dr. Bayerlein.
Unterschiedliche Interessen der verschiedenen Beteiligten am gesamten
Lebenszyklus eines Gebäudes sowie die Fragmentierung bei Statik- und
Prüfaufträgen würden zu Problemen bei der durchgängigen
Qualitätssicherung und damit zum einem Qualitätsrisiko führen. Für
eine ganzheitliche Beurteilung im Sinne einer integrierten
Gebäudesicherheit fehlten in der Regel die Zeit und das Geld.





Diese Problematik wird durch mangelnde Wartungs- und
Sanierungsmaßnahmen bei bestehenden Gebäuden noch verstärkt. "Wir
haben in Deutschland zu lange die Tatsache ignoriert", so Dr.
Bayerlein, "dass Gebäude altern und dass wir diesen Prozess
systematisch begleiten müssen." Diese Tatsache werde durch die
finanziellen Probleme der öffentlichen Hand noch verstärkt, durch die
notwendige Sanierungsmaßnahmen häufig erschwert würden. "Wir brauchen
im Baubereich einen effizienten und durchgängigen
Qualitätssicherungsprozess", so die Forderung von Dr. Bayerlein.
"Dieser Prozess muss eine lückenlose Nachvollziehbarkeit beim
Planungsprozess und eine unabhängige Überprüfung von Bauausführung
und Abnahme beinhalten und den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes
umfassen."






Gefahren erkennen - Risiken minimieren





Über diese grundsätzlichen Überlegungen hinaus sehen die
Bautechnik-Experten von TÜV SÜD wegen der hohen Mängelrate dringenden
Handlungsbedarf. "Aufgrund unserer Erfahrungen und unserer aktuellen
Erkenntnisse haben wir ein zweistufiges Konzept zur systematischen
Bewertung des gesamten Gebäudebestandes entwickelt, mit dem sich die
Gefahren schnell erkennen und die Risiken deutlich reduzieren
lassen", sagt Herbert Gottschalk. Die erste Stufe des TÜV
SÜD-Prüfstandards besteht in einer umfassenden Bestandsaufnahme von
Hallen und Gebäuden, um unkritische und kritische Konstruktionen zu
unterscheiden. Als "kritisch" sind beispielsweise Tragwerke mit
großen Spannweiten und solche Konstruktionen einzustufen, die durch
Abdeckungen nicht direkt einsehbar sind. "Mit der Bestandsaufnahme
schaffen wir die Voraussetzung für ein differenziertes und gezieltes
Vorgehen in der zweiten Stufe", erklärt Gottschalk. Während bei
unkritischen beziehungsweise "gutmütigen" Konstruktionen in Zukunft
eine regelmäßige, relativ einfache Sichtprüfung durch den Betreiber
genüge, müssten kritische Konstruktionen intensiver untersucht
werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen bilden die Basis für
einen differenzierten, in einem "Betriebshandbuch" genau
beschriebenen Wartungs- und Instandhaltungsplan, der die spezifischen
Eigenschaften eines Gebäudes berücksichtigt. Das "Betriebshandbuch"
liefert einen detaillierten Maßnahmenkatalog für Gebäudebetreiber.
Diese sind nach den Vorgaben aller Bauordnungen der 16 deutschen
Bundesländer dazu verpflichtet, die Standsicherheit der Gebäude in
der Betriebsphase zu gewährleisten. "Wir halten unser zweistufiges
Konzept für die beste Möglichkeit", so Gottschalk, "die Sicherheit
der Gebäude und den Werterhalt der Gebäudesubstanz über die gesamte
Lebensdauer hinweg zu gewährleisten und die Risiken nicht nur für die
Betreiber, sondern für alle Beteiligten zu minimieren."





Hinweis: Zum Thema "Integrierte Gebäudesicherheit: Risiken
erkennen - Schäden vermeiden" veranstaltet TÜV SÜD zwei Fachforen am
18. Mai 2006 in München und am 26. Juli 2006 in Frankfurt/Main.
Weitere Informationen zu diesen beiden Veranstaltungen finden Sie im
Internet unter

www.tuev-sued.de/industriedienstleistungen




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