Fachwerk + Psyche
Eine sehr interessante Frage ! Nach meiner Erfahrung fühlen sich vor allem Menschen zu Fachwerkbauten hingezogen, die den gängigen Idealen unserer Hochleistungsgesellschaft nicht unbedingt entsprechen wollen bzw. die den Ausgleich suchen zu einer effizienzorientierten und stressigen Arbeitswelt. Der Kauf eines Fachwerkhauses ist meistens eine emotionale Entscheidung, die auch nicht durch die Tatsache beeinflusst wird, daß zum Preis der anstehenden Sanierungskosten ein veritabler Neubau geplant und gebaut werden könnte. Unsere gebaute Umwelt ist gradlinig+rechtwinklig oder computergeneriert freigeformt, durchökonomisiert, von minimalisitischer=zeitgenössischer Gestaltung. Vielen Menschen fehlt das Verständnis für die Gestaltungsmaximen der Architekten + Designer, die oftmals nur im abstrakt-intellektuellen Zusammenhang nachvollziehbar sind. Ein Altbau bzw. ein Fachwerkbau lässt die Menschen zur Ruhe kommen und fordert nicht permanent die Auseinandersetzung mit einer avantgardistischen Gestaltung. Architekten wohnen übrigens privat gerne im Altbau mit Parkett, Doppelflügeltüren und 3,50m hohen Räumen, die sie leider nicht mehr entwerfen dürfen, weil es sich nicht mehr rechnet. Ein weitere, positiver Aspekt, der mir immer wieder genannt wird, ist die gewachsene, meist dörfliche Umgebung, in der sich das FAchwerkobjekt befindet. Ganz im Gegensatz zum aufgeräumten, parzellierten Neubaugebiet. Und die Tatsache, das zu den Fachwerkhäusern oft ein großes Grundstück mit altem Baumbestand gehört. Im Grunde suchen Menschen, die sich für den Kauf und die Sanierung eines FWH entschließen, ein Wohnobjekt mit Geschichte und Alterungsspuren, die im zeitgenössischen "modernen" Leben gerne negiert werden. Über negative Aspekte der Fachwerkarchitektur ist mir bisher nichts bekannt, außer, daß man sich an zu niedrigen Türstürzen und Deckenbalken den Schädel stößt. Das passiert aber nur in den ersten Wochen. Das FWH kann allerdings weniger gut organisierte Menschen zu einem gewissen Schlendrian verleiten. Bei übermäßig organisierten Menschen ist dies allerdings eher wohltuend.