Differenziert betrachten
Hallo Thomas,
da möchte ich Dir bedingt widersprechen. Ich verstehe durchaus sehr gut, was Du meinst. Ich habe eine große Vorliebe für Nachhaltigkeit und Qualität und war schon immer bereit, dafür auch etwas mehr Geld auszugeben. Das von Dir beschriebene Phänomen lässt sich aber nicht einfach auf den Verbraucher abwälzen. Fachleute wie Du sind eine absolute Ausnahme und schwer zu finden. Die Mehrheit ist nur am Umsatz interessiert und leider entweder nicht fähig oder willens, dafür auch eine saubere Arbeit abzuliefern, zu der man guten Gewissens stehen kann.
Hätte ich nicht das Glück, sehr viel selber machen zu können, könnte ich mir die Nachhaltigkeit und Qualität nicht leisten und damit meine ich nicht nur das Finanzielle. Ich fahre z.B. eine mittlerweile 36 Jahre altes Auto. Das ist heute noch in besserem Zustand und technisch zuverlässiger, als so manches 5 Jahre alte Auto. Ich wüsste jedoch in ganz Deutschland gerade mal eine Handvoll Betriebe, denen ich mein Auto anvertrauen würde. Zu Mercedes kann ich es nicht bringen, denn dort hat man weder die Ahnung von älteren Modellen, noch darf ich da ordentliche Arbeit erwarten. Auch dort gilt ganz klar die Prämisse: Wenn die Reparatur ein paar Jahre hält, ist es gut, denn welches Auto wird schon länger als 10 Jahre genutzt?
In unserem Haus habe ich drei Mal erwogen, Handwerkern einen Auftrag zu erteilen. Der erste hätte die komplette Installation einer Heizung mit Pelletbrenner umfasst und ist schließlich daran gescheitert, dass man sich nicht darauf einlassen wollte, die Aufputz-Kupferrohre zu löten und auch mich diese Arbeit nicht machen lassen wollte. Ich hatte die Wahl zwischen Komplettauftrag mit verpressten Rohren (für über 30.000 €) oder nichts. Ich habe mich für nichts entschieden.
Der zweite Auftrag ging an einen hier etablierten Fliesenfachbetrieb, bei dem wir uns Feinsteinzug für das neue Bad ausgesucht hatten. Da ich zwar normale Fliesen aber noch nie so große und schwere Feinsteinzug-Platten verlegt hatte, habe ich den Auftrag zum Verlegen erteilt. Abgesprochen war ein fliesenfertiges Bad und ein ungefährer Termin, zu dem ich mit den Vorarbeiten (Wasser- und Elektrik-Installation, verputzen, FHB verlegen, Estrich gießen und Duschgefälle ausarbeiten) fertig sein wollte. Als ich 3 Tage nach meinem geplanten Ziel dort anrief, bekam ich zur Antwort, dass man die nächsten 3 Monate keinen Handwerker frei hätte, obwohl man dort wusste, dass wir bis dahin weder Dusche, noch WC oder überhaupt ein Waschbecken mit Warmwasser hatten. Nach 3 Monaten kam ein Handwerker, der feststellte, dass man für den Boden die falschen Fliesen bestellt hatte. Also nochmal 4 Wochen warten. Letztendlich wurde die Arbeit dann in weniger als einem Tag gemacht. Der Handwerker selber hat sich gewundert, warum man einen so kleinen Auftrag nicht vorher als Lückenfüller genommen hat. Die Arbeitsqualität ist mittelmäßig. Alle Abweichungen sind innerhalb der DIN-Toleranzen aber im Nachhinein habe ich mich geärgert. Ich hätte es nicht nur 4 Monate früher, sondern auch ordentlicher machen können. Der Rechnungsbetrag fiel gegenüber dem Angebot übrigens nochmal um fast 400 Euro höher aus. Man hatte die vorher grob errechneten Laufmeter und Quadratmeter pingelig auf Zentimeter ausgerechnet, um uns ohne finanziellen Verlust dann "großzügig" einen Nachlass wegen der Verzögerung geben zu können.
Der dritte Auftrag bestand darin, ein VA-Rohr in unseren Schornstein einzuziehen. Handwerker A zieht im EG das Ofenrohr im einzigen bewohnten und sauberen Zimmer ab und Handwerker B beginnt daraufhin im Dachboden mit Brecharbeiten. Nach wenigen Sekunden sah es hier im Wohnzimmer aus, als wenn der Vesuv ausgebrochen wäre. Es war ausnahmslos alles schwarz. Nachdem ich in den Dachboden ging, um Bescheid zu geben, stelle ich fest: Der Handwerker steht mit seinen Arbeitsschuhen im Schutt auf dem neuen Weichholz-Dielenboden. Lapidare Antwort: "Normalerweise legen wir Gummimatten aus, doch die waren auf einer anderen Baustelle und wenn wir die geholt hätten, hätte das nochmal eine Stunde Zeit gekostet."
Sorry, eigentlich bin ich mit meinen 50 Jahren in einem Alter, wo ich mir nicht mehr immer beweisen muss, dass ich es selber kann. Ich mache nur jedes Mal wieder die enttäuschende Erfahrung, dass ich gar keine Alternative habe. Natürlich kann man nicht alle Dienstleister über einen Kamm scheren, doch ich habe einfach keine Lust mehr auf das Risiko eines weiteren Reinfalls. Für mich gilt die ganz klare Regel: "Willst Du es ordentlich, mach es selber".
Ich habe meine Werkstatt lieber um einen Frästisch ergänzt, damit ich unsere alten Holzfenster selber sanieren und defekte Profile nachfertigen kann, als diese Arbeit in Auftrag zu geben. Beim Putz innen hatte ich eine genaue Vorstellung von der Struktur aber nur eine grobe Ahnung, wie es gehen könnte. Bevor ich einen Handwerker beauftrage, übe ich lieber selber und kratze den Putz zwei Mal wieder von der Wand, bis ich den Dreh heraus habe.
Thomas, Du bist leider eher die Ausnahme, als die Regel. Das zeigt sich selbst hier im Forum: Wie oft kommt es vor, dass ein Fragesteller Fotos von seinem durch einen Fachbetrieb sanierten Fachwerk einstellt, auf denen mit Acryl oder Silikon gepfuscht wurde und das Gebälk mit diffusionsdichten Anstrichen versehen wurde? Ich will gar nicht bestreiten, dass oftmals das Budget des Bauherren oder seine irrigen Vorstellungen eine qualitativere Sanierung verhindert, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Mit Liebe und Gewissen arbeitet kaum noch ein Fachbetrieb und das kann man dem Kunden nicht in die Schuhe schieben.
Viele Grüße
Tilman