Das Deutsche Gewölbemuseum recherchiert: das Holz- und die Backsteingewölbe des Lusthauses in Stuttgart

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Karl-Ludwig Diehl

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Hallo allerseits,
nach weiteren Hinweisen zu diesem ehemaligen Lusthaus
in Stuttgart wird gesucht. Wer Hinweise geben kann,
bitte melden.
K.L.Diehl


Das Deutsche Gewölbemuseum recherchiert: das Holz-
und die Backsteingewölbe des Lusthauses in Stuttgart


Im Jahre 1580 wurde durch den Baumeister Georg Beer
in Stuttgart ein Lusthaus errichtet. Der Herzog Ludwig von
Württemberg hatte es in Auftrag gegeben, damit dort Rit-
terspiele, Bälle, Schauspiele, große Hochzeitsfeste und
große Festivitäten des Hofes abgehalten werden konnten.
Im Schloß waren die Säle für solche Anläße zu eng ge-
worden.

Man hatte dieses Gebäude für die wärmere Jahreszeit er-
dacht. Man konnte aus dem Lustgarten in dieses riesige
Gartenhaus eintreten. Jede Etage enthielt einen Saal, der
von offenen Umgängen umgeben war.

http://www.fotos.web.de/spaceoffice/Stuttgart_Lusthaus_1
(Gartenfassade, Grundrisse, unterer Saal)

Zu ebener Erde betrat man vom Lustgarten einen über-
wölbten Saal, in den drei von Brüstungen umgebene
Wasserbecken eingelassen waren, die in heißen Som-
mern Kühlung boten.

"Wie unsere Tafeln zeigen, ist ebenerdig der ganze Bau,
der nur einen Raum in jeder Etage umschliesst, mit Ar-
kaden umgeben, die wieder durch viele Thüren in den
grossen offenen Mittelraum leiten, der mit reizvollen, auf
eine Mittelkolonade übertragenden Sterngewölben über-
deckt an und für sich Kühlung gewähren konnte, der aber
noch besondere Erfrischung durch Röhrenbrunnen erhielt,
die ihr Wasser aus den Mittelsäulen heraus in drei gros-
se gemauerte, mit Ballustern umgebene Bassins hinab-
plätscherten. Das ist für die klimatischen Sommerverhält-
nisse des in geschlossenem Thalkessel erbauten Stutt-
garts mit Raffinnement erdacht." (1)

Der untere Saal diente also zur Erfrischung. Der obere
Saal war als großer Festsaal angelegt worden und hatte
ein riesiges Tonnengewölbe aus Holz über sich. Die Zu-
gänge sind beschrieben:

"Zum grossen Saal im ersten Stock führten zwei grosse
Doppelfreitreppen in Mitten der beiden Seitenfronten, wel-
che im oberen Plateau überbaut waren.
Dieser Treppenbau enthielt die Musikerzimmer, die als
Orchester nach dem Inneren des Saales mündeten.
Auch der Saal des ersten Stockes war den unteren Ar-
kaden entsprechend von einem um das ganze Gebäude
führenden, offenen Gang umgeben, der zugleich Zugang
in die Zimmerchen der Eckthürme bildete." (2)

http://www.fotos.web.de/spaceoffice/Stuttgart_Lusthaus_2
(Umgänge oben und unten, Podest, Ecktürme)

Um beide Säle führten also offene Umgänge. Um den Saal
im Erdgeschoß lief ein offener Arkadengang herum, darü-
ber lag ein Umgang, der nicht überall überdacht war, son-
dern nur dort, wo die Freitreppen an den Seitenwänden als
zweiläufige Treppen nach oben kamen und in einem Po-
dest endeten. Die Überdachung des offenen Umgangs er-
gab sich hier, weil sich darüber die Orchesterlogen befan-
den. Diese Podeste waren wie die Umgänge darunter
überwölbt. Die Umgänge verliefen oben wie unten zu den
an den Ecken des Gebäudes befindlichen Ecktürmen, die
als Akzente zur Gliederung der Gebäudemassen etwas
vor die vier Kanten des Gebäudes gebaut worden waren.
Sie hatten zwischen sich und dem Gebäude den Knick
des offenen Umganges. In den Ecktürmen befanden sich
Zimmerchen zum intimen Gespräch. Die offenen Umgän-
ge dienten natürlich zum Blick in den Park und zum Lust-
wandeln. Besonders schön soll der Blick vom oberen Um-
gang gewesen sein.

"Prächtiger Blick über den Garten ward damit den aus
dem Festsaal Tretenden gewährt, die Spaziergänger des
Gartens fanden dort treffliche Rast, für Turniere und Spie-
le der Rennbahn war unser Gang bestgelegener Zuschau-
erraum." (3)

Gerühmt wurde das Holzgewölbe über dem Festsaal:

"Ein grosser kräftiger Dachstuhl, ein Meisterwerk von Zim-
merkunst, überspannt das Haus, und trägt zugleich die
in Tonnenform gebildete Saaldecke. /.../
Diese Dachkonstruktion ist, selbst nach heutigem im
Konstruiren so vorgeschrittenen Standpunkt beurtheilt, ei-
ne vorzügliche zu nennen. Ueber einen Raum von 72' Wei-
te gespannt, musste dieselbe wegen der in Tonnenform
in den Dachraum hinein gehobenen Saaldecke auf den Zu-
sammenhalt durch horizontale Bundträme in der Auflager-
höhe verzichten; und wie vorzüglich und solid dieses Zim-
merwerk ausgeführt war, beweist die konstatirte Thatsa-
che, dass nach 300jährigem Bestand noch alles Holzwerk
gesund war, und die Konstruktion als solche alle neuerli-
che Inanspruchnahme für die Theaterzwecke in einer Wei-
se überdauert hatte, dass nirgends eine Durchbiegung, ei-
ne Verschiebung, eine Störung, z.B. der vollkommen hori-
zontalen Firstlinie, bemerkt und nachgewiesen werden
konnte." (4)

http://www.fotos.web.de/spaceoffice/Stuttgart_Lusthaus_3
(Innenraum des Festsaales, Schnitt, Holzkonstruktion)

Es fanden sich genauere Hinweise zum Festsaal:

"Die Dimensionen des Saals 201' lang, 72' breit 50' hoch,
wovon 20' auf den Pfeil der Tonnen entfallen, sind stattli-
che, 16 grosse, reizend eingefasste Doppelfenster beleuch-
ten ringsum den Saal; die zwei Zugangspforten sind reich
mit Skulpturenwerken geziert, über denselben sind die Or-
chesterlogen, darin eine mechanische Orgel untergebracht
war" (5)

Zu den Musikerzimmer über den Podesten der Außentrep-
pe, die als Loge für die Musiker zum Festsaal hin gestal-
tet ist, werden Hinweise gegeben, wie die Gewölbe aus-
sahen:

"Die Musikerzimmer über den Freitreppen sind noch
ganz im Styl der Parterrehallen gehalten, eine Säule in
der Mitte trägt ein Rippengewölbe, das als Zierde in Bas-
relief Damen mit Guitarre, Harfe, Orgel, u.s.w. aufweist."
(6)

Wilhelm Bäumer hatte das historische Gebäude bauge-
schichtlich untersucht und auseinander dividiert, was an
dem Lusthaus in mittelalterliche Manier oder als Verweis
auf das antike Rom gestaltet wurde. Er meinte, mittelal-
terlich seien die massigen Ecktürme, vier an der Zahl,
das hohe Dach und die Holzkonstruktion ohne Binderbal-
ken. Auch der hohe abgetreppte Prachtgiebel mit seinen
vertikalen Gliederungen verweise auf das Mittelalter. Ge-
nauso würden das die Turmfenster mit ihren Steinkreu-
zen und die Doppelfenster mit ihren Einfassungen tun.
Die Kreuzgewölbe der Bassin- und Bogenhalle würden
auch mittelalterliches Gepräge haben.

Auf die Antike würden die dorischen, jonischen und ko-
rinthischen Säulen in der Halle und am Portikus verwei-
sen. Auch die Holztonne habe ihre Vorbilder in der römi-
schen Antike, was die Formgebung angeht. Es gäbe
reichlich Gesimse, Pilaster und dazugehörige Sockel,
die auf die Antike anspielen. Bäumer, der seine Unter-
suchung 1868/69 in einer Festschrift veröffentlicht hatte,
lobte die Prachtfassade des Bauwerkes:

"Statt der Zinnen und rohen Mauerverstärkungen des Gie-
bels, wie wir's bei gothischen Häusern in Köln, Goslar,
Hildesheim, Hannover etc. sehen, erleichtert der Baumei-
ster die Giebelmauer durch elegante Pfeiler reich mit Ara-
besken und Kapitälen, lässt sie aber nicht unterbrechen,
sondern kröpft die römischen Gesimse um die Pfeiler he-
rum, und endigt die Pfeiler frei, luftig mit Hirsch- und Reh-
bildern geziert, für deren sicheres Lager er noch durch
zierliche Konsolen sorgt. Die Giebelansätze verbindet er
nach der Dachschräge durch geschweifte Linien. Die en-
digenden Gesimse folgen dieser Schweifung. Ich läugne
nicht, diese schönen Schweifungen bildeten den Anfang
zur verwilderten Renaissance, aber hier sind sie noch
massvoll gebunden." (7)

http://www.fotos.web.de/spaceoffice/Stuttgart_Lusthaus_4
(Giebelfassade, Detail des Giebels)

Man hat also ein spektakuläres Bauwerk vor sich, dessen
Säle eingewölbt sind. Der Festsaal erhielt sogar ein gros-
ses Holzgewölbe, dessen Holzkonstruktion weithin ge-
rühmt wurde. Auch der offene Umgang um den Saal im
Erdgeschoß wurde eingewölbt. Unter den Freitreppen la-
gen genauso Einwölbungen wie über dem Podest unter
den Musikerräumen, die wiederum selbst eingewölbt wa-
ren. Köstlin schrieb abschließend zu dem ungewöhnlichen
Bauwerk:

"An Eleganz im Detail steht gewiss dieser Bau keinem
deutschen Bauwerk nach, und fassen wir das Ganze in's
Auge, wer wollte verkennen, dass sich im Aeussern wie
im Innern so recht lebendig der heitere Charakter eines
Festbaues, eines Lusthauses im vollsten Sinne des Wor-
tes ausspricht?" (8)

Das ursprüngliche Gebäude erlebte mehrere Umbauten.
Seit dem Jahre 1758 wurde es als Opernhaus genutzt,
im Jahre 1811 stand es nach einer Erweiterung als Schau-
spielhaus zur Verfügung. Durch Um- und Anbauten wurde
es zunehmend verunstaltet. Man war sogar unzulässig
vorgegangen. Es zeigte sich,

"dass der Einbau an Galerien, Logen, Parterre etc. ganz
einfach auf die dünnen Kreuzgewölbe der alten ebenerdi-
gen Bassin-Halle aufgesetzt waren, ohne zu beachten, ob
eine schwerbelastete Logensäule auf eine Tragrippe zu
stehen komme oder mitten auf die schmächtige Gewölbe-
kappe." (9)

So wurde bei einer Erweiterung des Hoftheaters im Jahre
1845 zur Sicherheit alles abgetragen, und man hatte sich
nicht gescheut, "die überaus soliden Parterregewölbe
durchzuschlagen", was nur unter Protest der Bevölkerung
stattfinden konnte. Und "ausser den Umfassungsmauern"
blieb nichts von dem ehemals prächtigen Lusthaus übrig.
An die Stelle des Alten trat ein "kastenartiges Theaterge-
bäude", welches in der Stadt viel Verärgerung hervorrief.

Die bei der Zerstörung des Lusthauses in einzelne Teile
zerbrochenen Schmuckelemente hatten eifrige Sammler
bewahrt. Es fand sich ein Enthusiast, der alle diese Teile
wieder zusammentrug. Architekten begannen im 19.Jahr-
hundert mit einer systematischen Bestandsaufnahme des-
sen, was zum Lusthaus gehörte und fingen an Rekonstruk-
tionszeichnungen anzulegen. Durch diese ist es heute
möglich, sich ein Bild von diesem Gebäude zu machen,
das leider unterging.

K.L.Diehl

Dieser Text von Karl-Ludwig Diehl wurde in
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zur Diskussion gestellt. Der Autor ist über folgende
Emailadresse erreichbar: baugeschichte (at) email.de

Anmerkungen:
(1)-(3) zitiert aus: Köstlin: Das alte herzogliche Lusthaus
von Stuttgart. S.186-190 und Zeichnungen auf den Tafeln
auf S.37 bis 47 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1870.
S.188
(4)-(6) zitiert aus: Köstlin, wie vor, S.189
(7) siehe das Zitat von Bäumer im Textzusammenhang
in: Köstlin, wie vor, S.190
(8) zitiert aus: Köstlin, wie vor, S.190
(9) zitiert aus: Köstlin, wie vor, S.187
 
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