Quergedanke - Wie ist Ihre Meinung?

Diskutiere Quergedanke - Wie ist Ihre Meinung? im Forum Sanierung allgemein im Bereich - In unserer Nachbarschaft befindet sich das Haus auf dem Bild (siehe auch "Bilder", 63165 Mühlheim am Main): Fachwerk, wahrscheinlich ca. 200 Jahre...
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Stefan Brühne

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In unserer Nachbarschaft befindet sich das Haus auf dem Bild (siehe auch "Bilder", 63165 Mühlheim am Main): Fachwerk, wahrscheinlich ca. 200 Jahre alt, renoviert im Stil der 1960er. Scheußlich, oder? - Oder mal quergedacht: Wird dieses Ambiente eines Tages nicht auch denkmalschützenswert sein? Wer sagt denn, dass historisches Fachwerk als Sichtfachwerk freigelegt sein muss? Selbst dabei muss man sich doch auf e i n e Epoche/Bauphase festlegen. Auch den Renovierungsstil der 1980er kann und muss, zumindest bautechnisch) man heute historisch kritisch sehen. Sind wir auch bei die Jahrhunderte überdauenden Häusern gefangene der jeweiligen Moden/Stand der Technik? Etwa so - vor 1800: Holz/Strohlehm,Kalk; im 19. Jhdt.: Verputz (Brandschutzverordnungen); 1900-1950: zwei Weltkriege lassen die Fachwerke vergammeln; 1960: Eternit ist modern!; 1980: Entkernung für heimeliges Sichtfachwerkambiente, Ytong in die Gefache und Wiener Sprosse in die Fenster; 2000: Renaissance des Lehms; ...? Provokative Frage an alle Forumsteilnehmer und -besucher: Wie ist es denn jetzt r i c h t i g renoviert? - Es freut sich auf die Diskussion
 
Face Lifting für alte Fassaden

Sehr geehrter Her Brühne,

Sie sprechen da eine sehr interessante Thematik an und führen diese mit einem berechtigten Argument aus. Im Sinne architekturgeschichtlicher Bestandserhaltung haben Ihre Gedanken durchaus einen tiefen Sinn.

Ich möchte allerdings gerne an dieser Stelle solche "Fassadenmodestile" mit dem Face Lifting alter Herrschafften vergleichen. Sicherlich kann auch eine solche Fassade nochmals eine reizvolle oder zumindest nicht abstoßende visuelle Erscheinung sein - aber haben wir nicht ein Idealbild oder will sagen das beste Empfinden von einem Menschen/ Bauwerk, wie es ursprünglich in seinen besten Jahren erschien.

Nun gilt natürlich nur noch abzuwägen in welcher Weise wir Bauten erhalten wollen - im Zustand einer epochegeprägten, wenn auch unschönen Erscheinung, oder im ursprünglichsten Zustand, um die tatsächliche Konzeption eines Gebäudes in seinen Ort einfliessen zu lassen und damit u.U. die harmonische Wechselwirkung einer Stadtlandschaft wieder herzustellen.

Ich würde mich für die zweitgenannte Variante entscheiden.

Mit den allerbesten Grüßen.

Stefan I. Akkulak
 
Anregende Gedanken ...

Was genau schützt denn der Denkmalschutz?

Betrachten wir die meisten geschützten Fachwerkhäuser, so sind sie das Ergebnis von vielfachen Umbauten, was ja häufig die Bestimmung des Baujahres so schwierig macht. Ergo wird, subjektiv, ein gewünschtes Idealbild des Hauses, zu einem vergangenen Zeitpunkt x als Ursprung definiert. Streng genommen sehr willkürlich, denn folgt man - streng logisch - der Argumentation über den ursprünglichen Zustand, so müssten viele Erker, Gauben, Anbauten und Aufstockungen wieder abgerissen werden. Ein im Ursprung schlichtes gotisches Fachwerkhaus, daß in der Renaissance ordentlich "aufgemotzt" wurde, wird kaum in den gotischen Ursprung zurückversetzt. Es gilt das anscheinend Schönere als Maßstab.
Wer definiert denn was der Ursprung oder das zu Schützende ist?

Auch hier würde ich eine gewisse Willkür unterstellen. In einem mir bekannten Landkreis ist derzeit jemand am denkmalschützen, der der Meinung ist, früher waren alle Fachwerkhäuser grau. Dies führt einer "Vergrauung" ganzer Landstriche, da alle Fachwerkhäuser nun grau gestrichen werden. Hier würde ich - auch willkürlich - eine farbigere Epoche als schützenswert bevorzugen.
Somit würde ich die Frage wie folgt beantworten:
Es wird der Tag kommen, wo auch der Eternitbehang geschützt wird, solange er grau ist! ;-)
 
... was war eher da...

die Darstellung des Fachwerks oder der Traum vom Steinhaus? Offensichtlich ist doch, dass die Bauweise mit sichtbaren Gefachen schwerer in den Griff zu kriegen ist als z. B. verkleidet, sonst würden wir heute nicht immer noch nach Lösungen dafür suchen. Das Fachwerk war lange Zeit, vor allem im ländliche Raum, eine kostengünstige Form Wohnraum herzustellen. Der Traum war aber immer das nicht brennbare Steinerne. Das konnten sich Wenige leisten, es sei denn, es war regional möglich (Steinvorkommen)oder usus so zu bauen. Früher wurde natürlich viel mehr verputzt um den Anschein eines Steinhauses zu wahren oder zu erwecken. Der Umschwung zur Darstellung des Fachwerks liegt wohl im 19. Jahrhundert. Ich finde am Verputzen von Fachwerk oder der z. B. in der Lausitz üblichen Verbretterung und Verschieferung des Obergeschosses nichts schlechtes. Es hat seinen Grund und ist genauso erhaltenswert wie ein sichtbares Gefach. Zurück zur Frage: Das historische Fachwerk muss nicht freigelegt werden, zumal sich in der Qualität des verbauten Holzes die Einkommenssituation des damaligen Erbauers widerspiegelt. Das Gebäude muss eine Identität haben!! Ich könnte mir das auf dem Foto abgebildete Gebäude durchaus unter Denkmalschutz vorstellen, wenn es z. B. eine die Architektur unterstützende Bemalung hätte; in der vorliegenden Form aber nicht.
 
Ursprung zur Nutzung.....

Urplötzlich eröffnet sich eine Diskussion auf dieser Plattform, zu welcher sie angedacht ist!
Und auch dazu möchte ich als Praktiker meine Gedanken mit hinterlegen und erst einmal zu den vorgenannten Gedanken meine Zustimmung bekunden.
Doch an viele Sachen wird, glaube ich jedenfalls, überhaupt nicht mit gedacht.
Sehen wir uns doch nur einmal die herrliche oberlausitzer Umgebindelandschaft mit ihren wunderschönen Fachwerk- und Umgebindehäusern einmal näher an.
Zur Entstehungszeit wurden diese Häuser größtenteils durch 3-6 Personen bewohnt (davon aber immer etwas mehr an Kindern mit!), die Beheizbarkeit erfolgte meistens durch einen zentralen Grund- oder Kachelofen und darüber befanden sich die Schlafräume, wo der Restwärme nachgenutz wurde. Ansonsten war der Rest des Gebäudes sehr sporadisch möbiliert und auch unbeheizt! Doch schauen wir uns heute oder eben auch in den Nachfolgejahren der Entstehung diese Gebäude einmal an. Was ist passiert?
Die Gebäudenutzungsansprüche haben sich drastisch verändert und wir finden heute Häuser vor, die Entkernt, zerbaut, doch vorallem überlastet, überdichtet, überheizt usw. sind. Also der Ursprünglichkeit dieser Konstruktionsvorgabe garnicht ausgerichtet sind. Dies bedeutet, diese Gebäude unterliegen einem schleichenden Totalverlust! Und dort sollten unsere Ansätze liegen, die Besitzer wieder in das Nachdenken der Ursprünglichkeit unter modernen Möglichkeiten und Gegebenheiten zu bewegen. Das wäre die Aufgabe unserer Planer und Architekten. Weg vom Lobbyismus hin zur Ursprünglichkeit!!
Wir müssen mit der Erbschaft unserer Altvorderen sensibler umgehen und da eben auch mit der Generation, mit der wir heute noch zusammmenleben und deren Ergebnisse allgegenwärtig sind.
Und dann sollten wir die Entscheidung des Erhaltbaren, an der Situation des Nachhaltigen festmachen und so dann auch zu neuen Denkmalsbeurteilungen gelangen. Bauphysik und Funktionsweise immer im Blickwinkel der Entscheidung! Also kurz zum Ausgangsthema
"Diese Bild incl. Fragestellung":
Wenn damit eine Nachhaltigkeit gegeben ist und die Holztragkonstruktion funktionstüchtig bleibt, dann sollte es auch somit zu einem neuen Denkmalsbild beitragen helfen und auch, epochemäßig erklärt, zur Beibehaltung dienen. Also nicht immer Rückbau zur Ursprünglichkeit!! Die lausitzer Häuser zeigen ja auch so einen Entwicklungsweg auf. Erst Sichtfachwerk, anschließend Verbretterung und wer damals noch etwas mehr betucht war, verschieferte diesen Wetterschutz noch. Und heute haben wir diese Ergebnisse gleichwärtig nebeneinander.
 
Anmerkungen zu Udo's Beitrag

Zu "Gebäudenutzungsansprüche":
Haben die ursprünglichen Erbauer so gebaut, weil es "IN" war, oder weil die Umstände
es erzwangen?

Bereits damals hätten sie anderst, größer und mit viel höheren Ansprüchen
gebaut, wenn die Möglichkeiten gegeben gewesen wären. Man(n) hat nicht aus
baubiologischem Gedankengut heraus, z.B. mit Lehm und Holz gebaut, sondern weil es
nichts anderes gab.

Wurden die Häuser von mehr Personen bewohnt als heute, weil es so kuschelig war,
oder weil ein größeres Haus - aufgrund der Umstände - einfach nicht möglich war?

Die verfügbaren Mittel sind immer ausschlaggebend, für die Realisierung von Umständen.
 
zu Hartmuts Gedanken...

zur Entstehungszeit dieser Gebäude wurde natürlich nicht ans baubiologische gedacht, sondern aus der Not eine Tugend gemacht. Regionale Gegebenheiten, wie eben riesige Waldbestände demzufolge also Holzkonstruktionen und dazu eben auch Lehm und Stroh usw., in anderen Regionen eben Feldsteine usw. Dies war der natürlichste Entwicklungsweg unserer übereigneten regionalen Baukultur. Die Bewohnbarkeit in diesen Häusern war ärmlich aber doch gesünder! Die Übervölkerung derartiger Bausubstanz ist aus heutiger Betrachtung zu diesen Gebäuden resultierend. Also zwei oder sogar noch mehr Familien in diesen Häusern und daraus ableitend die personelle Überlastung mit der Summierung an Mobilar, techn. Ausstattungen usw. Aus dieser Betrachtungsweise heraus kamen meine Gedanken. Ich meine, wenn ein ursprüngliches Fachwerkgebäude über die Jahrhunderte hinweg umgebaut und baulich verändert wurde und dies der Konstruktion entsprechend nutzbringend getan wurde (bauphysikalisch betrachtet!), dann kann es auch in seiner Jetzigkeit als Denkmal eingeordnet werden. Und eben nicht so, wie es die heutigen Denkmalsämter fordern, auf eine totale Ursprünglichkeit wiederbelebt zu sanieren!
 
Thema: Quergedanke - Wie ist Ihre Meinung?
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